Wort zum Sonntag – 2019, KW 30

Wort zum Sonntag, dem 28. Juli 2019


Einen schönen Sonntag Euch allen. Wir haben in dieser Woche abermals erleben dürfen, wie ein Schiff voller Migranten im Mittelmeer kenterte, einmal mehr kamen unzählige Menschen sinnloserweise ums Leben. Sinnlos war es, weil man es hätte verhindern können, eine funktionierende Seenotrettung und ein nahtlos funktionierendes Programm zum Übersetzen in einem sicheren Hafen hätte es verhindern können. Das Problem daran: Dieses System existiert nicht. Vonseiten der Staaten, welche in Nordafrika die Küsten zum Mittelmeer flankieren, ist nichts zu erwarten, in der Regel sehen sie sich nicht in der Verantwortung. Vonseiten Europas hingegen wäre es durchaus zu erwarten, die Küstenstaaten sind Mitglieder der EU (bis auf Albanien). Das Problem: Interner Zwist über das Verfahren. Und das kostet mit anhaltender Uneinigkeit Menschenleben. 
In Afrika herrscht Krieg, und das wohl seit Zeitgedenken. Der Kolonialismus vergangener Tage, welchen sich manche der willkürlich errichteten Staaten erst im 20. Jahrhundert entledigen konnten durch den Kampf um ihre Unabhängigkeit, hat die Lage vor Ort inhärent und nahezu irreparabel destabilisiert, die unbestimmte und atomisierte Lage in den Ländern und die Uneinigkeit darüber, wie verfahren werden sollte, da es keinen Anleiter an der Spitze gab, der ihnen, den Menschen, Rebellen, die Richtung wies, bot machtbesessenen Autokraten eine Vorlage zur Machtergreifung sondergleichen. Was auch sonst hätte passieren sollen? Sobald die Kolonialherren ihre Macht schwinden sahen, ließen sie passieren, was passieren sollten, und entzogen sich jeder Verantwortung für die Konsequenzen. Selbstverständlich befanden sie sich im Recht: Die Menschen wollten Unabhängigkeit von ihren Unterdrückern, und sie gaben sie ihnen. Warum sollte man ihnen noch helfen, ihre neu erlangte Unabhängigkeit auszubauen und zu bewahren? Das wäre eine besondere Form des guten Samariters: Vom Ausbeuter zum Gönner. Das hätte wohl sogar sie verwirrt. 
Doch dem war eben nicht so, und so kam es, wie es kommen musste: Man entledigte sich der Ketten und begab sich in eine neue Ära, der des befreiten Volkes, welches sein Schicksal nunmehr selbst in der Hand hatte. Was einst so schillernd aussah, entwickelte sich aber allmählich zum Alptraum, da an die Stelle der Kolonialisten nun Autokraten aus eigenem Hause traten. Der Feind entstammte von nun an den eigenen Reihen, war nicht länger der weiße Mann, welcher irgendwo in Europa (oder in den Staaten, wie beispielsweise in Liberia, einem Staat, errichtet von einstigen Sklaven, welche man aus Westafrika auf die Baumwollplantagen der Südstaaten schiffte) saß in seiner königlichen oder kaiserlichen Residenz, oder gar Regierungsbeamter irgendeines Parlaments war, sondern war ein Mann aus demselben Lande, mitunter auch aus einfachem Hause oder dem Militär, jedoch (oder darum auch) mit den richtigen Kontakten zu Schlüsselfiguren, die Dinge ermöglichen konnten, Wege ebnen konnten. Und so kam es, dass das Blatt sich nur bedingt wendete. Aus derl ang ersehnten Freiheit wurde nur eine Fortsetzung bereits bekannter Strukturen, nur waren sie nunmehr näher denn je. So nah, und doch so fern. 
Was darauf folgen sollte, konnte man sich denken: Gerechtigkeit war weiterhin nicht vorhanden, stattdessen setzte sich die Ausbeutung fort; wer nicht spurte, sondern die Strukturen kritisierte oder gar bekämpfte, wurde eliminiert oder zumindest aus dem gesellschaftlichen Bilde gezerrt; brachiale Polizeieinsätze stehen an der Tagesordnung, Wahlen sind eine Farce. Hinzu kommt noch, dass neben den autokratischen Staatschefs nun auch Großkonzerne aus dem Ausland Fuß fassten, sich mitunter verbündeten mit den Staatschefs, um ihre eigenen Möglichkeiten bezüglich der Einnahme der heimischen Ressourcen weiter auszubauen. Notwendig ist das hingegen nicht, in der Regel greifen sie (die Staatschefs) nicht ein in ihren Machenschaften, schließlich muss die Wirtschaft irgendwie angekurbelt werden. Jobs werden sicherlich geschaffen, doch zu welchem Preis? Der Preis ist die Minderbezahlung der heimischen Arbeiter, bei Vollzeitjobs, wahrhaftigen Knochenjobs entweder auf Feldern oder Plantagen, oder in Fabriken und auch anderweitig im ständigen Kontakt mit gefährlichen Schadstoffen. Doch auch die Arbeit in Minen wird zu Hungerlöhnen von Konzernen koordiniert, ohne die in erste-Welt-Ländern zweifelsfrei üblichen Sicherheitsvorkehrungen und Versicherungen die eine gefahrlose Ausübung der Arbeit ermöglichen. Der Grund: Reinster Zynismus, von Rassismus soll nicht die Rede sein. Es geht lediglich darum, dass vor Ort kein Rechtsstaat vorhanden ist, sodass den Konzernen kein Prozess gemacht würde für etwaige Menschenrechtsverletzungen. Eher noch würden die Konzerne gedeckt, weil sie auf keinen Fall das Land verlassen sollen. Lieber riskiert man es offen, dass Menschen sterben, für ihr Leben geschädigt werden oder einfach nur leiden. Den Autokraten ginge es nie um ihr Volk, ihnen geht es nur um sich selbst, ihre Familie (welche nicht selten in nepotistischer Manier selbst Teil der Regierung ist) oder Freunde und Verbündete. Eben jeder, der es ihnen ermöglicht, an der Macht zu bleiben oder sie dorthin brachten und die sie nicht bereits aus dem Weg räumten. Man weiß die Möglichkeiten zu schätzen. 

Sehen wir all diese Zustände als gegeben an, und das können wir durchaus, dann müssen wir uns doch fragen: Wieso ist die Frage nach der Notwendigkeit der Seenotrettung überhaupt eine? Die Antwort darauf: Sie ist verzweigt. Zunächst haben wir die einfachen Fälle, nämlich die der Anrainerhäfen im Mittelmeer, in der Regel sind diese in Italien gelegen. Italien aber wird regiert durch eine rechtspopulistische Koalition aus Movimiento Cinque Estelle (M5S) und Lega Nord, die auch die Schlüsselstelle des Innenministeriums besetzt, mit ihrem Parteivorsitzenden Matteo Salvini, der bekannt wurde durch eine nationalistische Politik des Ausschlusses von sogenannten Schlepperschiffen, bis sich Mitgliedsländer der Europäischen Union zur Aufnahme der Migranten bereit erklären. Hierbei hadern aber viele, da die sitzenden Regierungen in ihren Ländern selbst mit dem Aufstieg ähnlich rechtspopulistischer Parteien zu kämpfen haben. Eine allzu liberale Haltung kann da schnell zum Mehrheitsverlust führen. Was zunächst zynisch und inhuman kalkulierend klingt, ist hingegen das moralisch bestmögliche in einer solchen Situation: Einerseits möchte man den Menschen mitunter helfen, doch wie soll das noch weiterhin funktionieren, wenn man in der nächsten Wahl die Mehrheit an die Rechtspopulisten verliert? In Deutschland wäre das wieder 2021 der Fall. Und Deutschland zählt zu einem der reichsten Länder der EU, ebenso auch einem der Länder, welches jederzeit bedingt viele Flüchtlinge aufnimmt. Man schlug den Migranten noch nicht (immer) die Tür vor der Nase zu, wenngleich man aber zugleich weiterhin Abschiebeflüge in Richtung Afghanistan vornahm, welches kontrovers zum sicheren Herkunftsland erklärt wurde. Anschläge finden dort aber noch immer häufig statt, Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban gehen nur schleppend voran. Die rechtsextremistische AfD sitzt zudem den einstigen Volksparteien und derzeitigen Regierungsparteien Union und SPD stramm im Nacken, letztere haben sie bereits in Umfragen überholen können, dicht gefolgt von den linksliberalen Grünen. Entsprechend schwierig gestaltet es sich aber, bereitwillig die Vorbildrolle in der Flüchtlingsfrage einzunehmen, also (die meisten) Flüchtlinge aufzunehmen – es geht um Machterhalt einerseits, und um Humanismus andererseits. Problematisch wird diese Formel hingegen letztlich, wenn man dabei mehr und mehr in ein rechtspopulistisches Muster verfällt und selbst gegen die Aufnahme von Flüchtlingen wettert. Es ist eine Sache, den Drahtseilakt zwischen Einhaltung von Menschenrechten und Machterhalt zu vollführen, doch eine andere, sich den eigenen Feinden anzubiedern, um aus ihnen in letzter Instanz Verbündete zu machen. Auf diese Weise diskreditiert man sich selbst. 
Natürlich könnte man naiv davon ausgehen, dass diejenigen, welche eine verstärkte Seenotrettung nach humanistischem Vorbild befürworten, die Mehrheit in der Gesellschaft darstellen, und infolgedessen ihrem Vorbild folgen, um somit zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, doch wäre diese Vorstellung, wie beschrieben, naiv. Dafür gäbe es auch Gründe: Viele derjenigen, die Unterstützung dafür offen ausdrücken, sind nicht wahlberechtigt; andere werden trotz ihrer Berechtigung nicht wählen gehen, andere vergessen es, und eine dritte Form dieser Menschen wird fehlerhaft wählen; die letzte Gruppierung in dieser Szene ist womöglich nicht einmal in diesem Land heimisch, entstammte vielleicht einem Nachbarland wie Österreich oder der Schweiz. Alles ist möglich. Viele Parteien, vor allem aber Union und SPD, rechnen aber auch noch mit einer ganz anderen Option: Dass man sie trotz einer liberaleren Migrationspolitik nicht unterstütze, weil sie in anderen Nischen des politischen Parketts illiberaler handeln und darum bei ihnen unten durch sind. Das muss man sich also folgendermaßen vorstellen: Sie betrieben eine «No-one is illegal»-Flüchtlingspolitik, nähmen also jeden Flüchtling auf, der Asyl beantrage, selbst diejenigen, die als Wirtschaftsflüchtlinge einzustufen wären, beispielsweise Flüchtlinge aus dem Kosovo oder Südafrika. Das käme gut an bei Linksliberalen, insbesondere den jüngeren. Gleichzeitig würde man aber keine Rentenaufstockung vornehmen, sogenanntes Sozialklimbim (O-Ton wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU, Joachim Pfeiffer) würde noch immer nicht mit der Gießkanne ausgegeben. Das verschrecke wiederum die jungen Linksliberalen, die um ihre Zukunft fürchten. Dass man Klimareformen in Richtung des Kohleausstiegs und einer CO2-Steuer noch immer mit Samthandschuhen angreift, verpasse den Chancen auf ihre Stimmen den coup de grâce. Da die Parteien darum wissen, und ebenso wissen, dass eine 180-Grad-Wende den Tod für ihr Parteiprogramm bedeute, da sie auf diese Weise ihre Ideale, welche sie, von einem äußerst linken Standpunkt betrachtet, bereits mit einem verräterischen Rechtsruck hinter sich ließen, zurücklassen müssten, unterlassen sie jede Liberalisierung und riskieren damit, für die kommenden Generationen unwählbar zu werden. Ihre Prioritäten sind fix gesetzt. 

Viele der Gegner der Seenotrettung verweisen gerne auch auf die (judäo-)christliche Kultur des Abendlandes, praktisch des Okzidents. Diejenigen, welche das Mittelmeer kreuzen, passten nicht dazu, ihre Kulturen seien mit der okzidentalen schlichtweg nicht vereinbar. Ein wenig bizarr wirkt das ohnehin, bedenkt man nur, dass in der Bibel auch nie von einer globalisierten Marktwirtschaft die Rede war, oder dass man Grenzen auf dem Land ziehen sollte, welche Verwaltungsbereiche bestimmt und Menschen national zuordnet, sodass sie auch jederzeit, wenn sie verreisen wollen, Reisepässe zur Identifikation bei sich führen müssen, und sie sogar aus solchen Ländern ausgeschlossen werden können; nie war es kulturell vorgesehen, dass man Ressourcen essentieller Natur, beispielsweise Wasser, privatisieren sollte, sodass es nur für diejenigen, die es sich leisten können, zugänglich wird, Gleiches für Heizkörper im Winter, oder Brot. All das war so nie in Stein gemeißelt für die kulturellen Bestimmungen der westlichen Welt. Ohnehin muss man sich fragen: Was sind schon westliche Werte, beziehungsweise die westliche Kultur? Wer schrieb es jemals fest, und wo genau endet ihr Einfluss und beginnt der orientalische Kulturkreis?Derartige Begriffsklauberei wirkt ein wenig verhöhnend gegenüber denjenigen, welche diese ominöse Kultur geprägt haben. Nur zu gerne möchte man doch an Heinrich Heines Lied der Marketenderin erinnern, in welchem folgende Worte zu lesen sind: 
Ich liebe den Deutschen, ich lieb den Franzos,
die Welchen und Niederländschen,
Ich liebe den Schwed, den Böhm und Spanjol,
Ich liebe in ihnen den Menschen.  
Gleichviel von welcher Heimat, gleichviel
Von welchem Glaubensbund ist
Der Mensch, er ist mir lieb und wert,
Wenn nur der Mensch gesund ist.

Das Vaterland und die Religion,
Das sind nur Kleidungsstücke -
Fort mit der Hülle! daß ich ans Herz
Den nackten Menschen drücke.
(Heinrich Heine trug in seinem «Buch der Lieder» Lieder und Gedichte seiner Zeit zusammen, zu denen auch dieses Lied aus dem dreißigjährigen Krieg gehörte.)
 Wer hierbei jedoch noch mit der Anmerkung aufwarten sollte, dass in diesem Ausschnitt doch ausschließlich europäische Nationalitäten gelistet werden, und keinerlei außereuropäische, dem seien hierbei zwei Anmerkungen getan: Erstens: In der ersten Zeile des zweiten zitierten Abschnitts des Liedes ist davon die Rede, dass es gleich ist, welcher Heimat jemand entstammte; zweitens: Die Anmerkung war unnötig, da die Aussage eindeutig ist. 
Christen haben sich der Nächstenliebe verschrieben, vor Gottes Gnaden ist jeder Mensch, gleichwohl welchem Glaubens, gleich, da sie alle von Gottes Antlitz sind. Dazu zählt der Sudanese wie der Spanier, der Senegalese wie der Deutsche, und der Kongolese wie der Pole. Wir alle sind gleich vor Gott, Frauen wie Männer, Kinder wie Alte, Homosexuelle wie Hetero- und Transsexuelle, etc. Wer dieses Faktum bestreitet, muss sich doch unweigerlich fragen, wie dieser Mensch überhaupt existieren kann, wenn man doch felsenfest voraussetzt, dass der Mensch von Gott abstammte. Man müsste eingestehen, dass Gott wohl Fehler machte, und dadurch die Allmacht Gottes widerlegt wäre durch seine eigenen Taten. Die Allmacht muss doch aber für ein höchstes Wesen im Äther Voraussetzung sein, um etwas wie den Menschen und den Planeten Erde zu schaffen. 
Vielmehr ist es doch notwendig, Menschen in Not zu retten, da sich auch Jesus zeit seiner Existenz auf der Erde sich in Nöten befand, und man ihm half. Aus der Bibel lässt sich folgende Stelle zitieren: 

34 Dann wird der König zu denen auf seiner rechten Seite sagen: 'Kommt her! Euch hat mein Vater gesegnet. Nehmt Gottes neue Welt in Besitz, die er euch von allem Anfang an zugedacht hat. 35 Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich bei euch aufgenommen; 36 ich war nackt und ihr habt mir etwas anzuziehen gegeben; ich war krank und ihr habt mich versorgt; ich war im Gefängnis und ihr habt mich besucht.'
37 Dann werden die, die den Willen Gottes getan haben, fragen: 'Herr, wann sahen wir dich jemals hungrig und gaben dir zu essen? Oder durstig und gaben dir zu trinken? 38 Wann kamst du als Fremder zu uns und wir nahmen dich auf, oder nackt und wir gaben dir etwas anzuziehen? 39 Wann warst du krank oder im Gefängnis und wir besuchten dich?'
40 Dann wird der König antworten: 'Ich versichere euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder oder für eine meiner geringsten Schwestern getan habt, das habt ihr für mich getan.'
41 Dann wird der König zu denen auf seiner linken Seite sagen: 'Geht mir aus den Augen, Gott hat euch verflucht! Fort mit euch in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel vorbereitet ist! 42 Denn ich war hungrig, aber ihr habt mir nichts zu essen gegeben; ich war durstig, aber ihr habt mir nichts zu trinken gegeben; 43 ich war fremd, aber ihr habt mich nicht aufgenommen; ich war nackt, aber ihr habt mir nichts anzuziehen gegeben; ich war krank und im Gefängnis, aber ihr habt euch nicht um mich gekümmert.'

>> (Wer die Stelle in der Bibel nachlesen möchte (in Teilen geht sie auch noch weiter, doch für die Aussage genügt dieser Abschnitt hier): Sie steht im Matthäus-Evangelium, Kapitel 25, die Zeilen 34 bis 41)

Es wäre abstrus, Menschen in Not abzuweisen. Ebenso abstrus wäre es, ihre Not zu leugnen. Sich dabei Verschwörungstheorien hinzugeben, ist blanker Hohn, und befördert allein den persönlichen Egoismus, dass man seinen Wohlstand schützen möchte, man ihn nicht teilen möchte, obgleich er doch für alle vorgesehen ist, schließlich ist für alle genügend dar, solange die Verwaltung die Distribution hinbekommt, was lediglich eine administrative Frage ist. Sie ist jedoch keine Frage, die dazu führt, dass Menschen in Not außen vor bleiben müssen, bis sie beantwortet ist. Das führt uns zum nächsten Knotenpunkt:

Der nationalen Frage, wie mit Menschen in Not umzugehen ist. Unter den Kritikern und beinharten Isolationisten befinden sich einige, die den moralischen Zeigefinger in Richtung der Obdachlosen und Sozialhilfeempfänger deuten. Sie sagen, dass ihnen zuerst geholfen werden sollte, bevor man sich noch mehr Hilfsbedürftige ins Land hole, somit den Fortschritt in Richtung soziale Gleichheit weiter behindere. Theoretisch hätten sie auch durchaus Recht, wenn sie sowas sagen, doch muss man das in einem kontextuellen Zusammenhang lesen, wenn man ihrer Argumentation nicht unweigerlich Recht geben wolle: Sie instrumentalisieren diese Hilfsbedürftigen für ihre eigenen Zwecke, ihnen geht es nicht primär um die Not ihrer Landsleute. Ansonsten müsste man davon ausgehen, dass diese selben Menschen ihre überschüssigen Nahrungsmittel immer tugendhaft an die lokalen Tafeln spenden, ehrenamtlich Kranke und Alte pflegen, und sie wochenends Müll sammeln gehen, um ihre Umgebung sauber zu halten. Natürlich wäre das ein moralisch supererogatives Verhalten, und somit selbst für Kommentatoren der zuvor benannten Art übermenschlicher Art. Doch der Punkt kam dennoch an: Man sollte nicht mit dem Finger auf diejenigen deuten, an die man doch selbst nie denkt, wenn es darum ginge, Not zu beseitigen, wo sie auftaucht. Natürlich kann man auf diese Weise viele Menschen moralisch mundtot machen, solange man sich selbst noch nichts hat ankreiden lassen. Der Diskurs würde auf diese Weise jedenfalls massiv geschädigt, und Themen, die es nötig haben, angesprochen zu werden, gingen unter unter gegenseitigen Anschuldigungen, ein Heuchler zu sein. Und dennoch – ein Staat sollte niemanden vom Eingangsbereich abweisen, weil man noch vor der Haustür fegen muss. Man unterstelle dem Staat geradezu eine inhärente Inkompetenz in Sachen Problemlösung, die Bandbreite einer sogenannten single-issue-Partei, also einer ein-Themen-Partei (eigentlich agrammatisch, aber so klingt es besser): Die Behandlung mehr als eines Problems auf einmal überschreite die Kompetenzen des praktizierenden Staates. Oder, realistischer ausgedrückt: Die Behandlung mehr als eines Problems pro Ministerium überschreite die Kompetenzen der praktizierenden Regierung. Was aber sage das über die gewählte Regierung? Der Untergang des Staates, ja der Nation, wäre festgeschrieben und nur eine Frage der Zeit; er käme aber nicht über eine befürchtete große Umvolkung, sondern über die Unfähigkeit der Regierung. Ursächlich wäre das aber vor allem über die überlauten Rechtspopulisten, die ihre Einfältigkeit breit und publik propagieren, anstatt sie zu verstecken zu versuchen hinter einem Banner aus falschen Hoffnungen. Die Globalisierung, welche sie so dermaßen verabscheuen, ist wie Israel: Sie ist nun mal da, man wird sie nicht mehr rückgängig machen können, sie ist fester Bestandteil der Problematik (Israel im Falle des Nahostkonflikts, welcher die humanitäre Krise im Gazastreifen verursachte, bevor wieder jemand Antiisraelismus befürchtet; Israel ist einer der jüngsten Staaten dieses Planeten und eine Konfliktpartei in diesem Konflikt, nicht mehr und nicht weniger). 
Da nun aber die Globalisierung ein fixer Bestandteil des Status quo ist, ist der Nationalismus die denkbar ungünstigste Lösung, die ein Staat für sich vereinbaren kann, da dieser krass opportun zur Globalisierung steht. Es käme der Situation gleich, auf die Bremse zu drücken, wenn man vor einer grünen Ampel an einer Kreuzung steht, weil man glaubt, dass man damit für sich die sicherste Vorgehensweise zum Vorankommen auserkoren hätte. Da könnten die Hintermänner noch so laut hupen, man wäre einer festen Überzeugung, auch wenn man sich eingestehen müsste, dass allein der Stillstand gewährleistet wäre. So ist es auch mit dem Nationalismus: Der internationale Handel ist überlebenswichtig für das Wohlergehen der eigenen Wirtschaft, insofern müssen also die günstigsten Konditionen für fremdländische Unternehmen und Konzerne gegeben sein; einerseits, um sich dort niederzulassen, und andererseits, um zu im- und exportieren. Dichte Grenzen sind dabei Todesurteile, ebenso auch Zölle, da diese die Kosten in die Höhe treiben. Politische Spannungen sollten möglichst auch keine Konsequenzen für den gegenseitigen Handel haben, man möchte damit nichts zu tun haben. Trump bietet für sowas das beste Beispiel: Er hält den Markt im Würgegriff, indem er bei ausländischen Staatschefs aneckt mit andauernden Drohungen über Zölle, Huawei wurde zum Spielball amerikanisch-chinesischer Beziehungen und -Spannungen. Man konnte nichts dagegen tun, man konnte nur abwarten und hoffen, dass der große Krach ausbliebe. Ähnlich sieht es bei der Flüchtlingskrise aus: Indem Staaten selbst anderweitig kriseln – Italien erstickt förmlich an seinen astronomischen Schulden, die auf Gedeih und Verderb nicht schrumpfen wollen – und gleichzeitig ein Transitland für Flüchtlinge darstellen, halten sie ein adäquates Druckmittel in den Händen, welches sie konsequent gegen ihre Bittsteller einsetzen können. Italien tut das nicht, zugegebenermaßen, doch Trump umso mehr: Auf Mexiko übte er lange Zeit Druck aus, dass es die Flüchtlinge, welche das Land durchquerten auf dem Weg nach Norden, entweder behielt, oder die eigenen Grenzen im Süden dichtmachen sollte, damit die Flüchtlinge es gar nicht erst versuchten. Für Mexiko sind die USA ein wichtiger Handelspartner, den sie nicht missen können. Entsprechend beugt man sich den Forderungen des großen Mannes, er behält die Oberhand. Ärmere Länder wie Guatemala beugen sich ohnehin dem starken Mann, obgleich es für sie doch ein Armutszeugnis ist, da sie sich auf diese Weise zu Vasallen eines ausgesprochenen Autokraten machen. Doch welche Optionen blieben ihnen schon, ohne den Rückhalt der internationalen Gemeinschaft? Allein kann ein kärgliches Land wie Guatemala den USA nicht die Stirn bieten. Und somit sieht man schon, was es in solchen Zeiten braucht, ungleich dem, was derzeit Sache ist: 

Es braucht eine internationale Vereinigung der Staaten, damit die fulminanten Probleme der heutigen Zeit dergestalt angegangen werden können, dass man sie so schnell wie möglich lösen kann. Die Interessen ähneln sich stark, wenn sie nicht nach einem Schema F bestimmt werden können. Die Eigeninteressen hingegen sollten nicht von Belangen sein, da diejenigen Staaten, welche sie am lautesten propagieren, diejenigen sind, deren Unmut vor allem in der bureaukratischen Inkompetenz liegen, die den Wohlstand des Staates nicht korrekt umsetzt, sodass er nicht bei denen ankommt, die ihn herbeisehnen und der er auch zusteht. Demgegenüber könnte man hervorheben, dass das unbewegliche Ungetüm der Bureaukratie genauso erwünscht ist, nämlich von denjenigen, die davon am besten profitieren können, doch wäre das, sollte man es so sehen, Thema für einen eigenen Text, hierfür wäre es zu urgewaltig. Dass eine Vereinigung der Nationalstaaten, wie sie in Form einer Fraktion im EU-Parlament existiert, nicht funktionieren kann, sieht man genau dort: Im EU-Parlament. Dort schlossen sich Partreien wie die Lega Nord, die Prawo i Sprawiedliwość (PiS; Recht und Gerechtigkeit) und die AfD zusammengeschlossen, um gemeinsam anzutreten. Schon früh sollte sich aber abzeichnen, dass man auf keinen grünen Ast käme, da die nationalen Interessen sich zu sehr voneinander unterschieden, und so wurde aus dieser augenscheinlich logischen Vereinigung ein Haufen innerlich zerstrittener Einzelparteien. Sinnbildlich kann man darin eine Dystopie ablesen, wie ein Europa der (souveränen) Nationalstaaten (ihre gemeinsame Vision) aussähe: Man befände sich in einem dauerhaften Zustand der Zerstrittenheit, und wäre den globalen Problematiken nicht länger gewachsen, da jeder versuche, das beste für die eigenen Leute herauszuholen. Dass das beste allein sein kann, dass man das Problem gemeinsam löst, und sich das für alle am Ende auszahlen wird, findet keinerlei Beachtung. Und so wird man am Ende gemeinsam untergehen, weil niemand dem anderen etwas zugestehen möchte. Man drängelt einander immer, weil jeder erster werden möchte, und kommt deswegen nicht voran, anstatt man es einfach im Gleichschritt versucht. Das wohl offensichtlichste Beispiel sind Staus auf Autobahnen, verglichen mit Ameisenstraßen: Auf Autobahnen herrscht im Falle eines Staus häufiger entweder ein Stop-'n'-Go-Verkehr, oder absoluter Stillstand, weil man immer wieder nach vorne hin drängelt. Ameisenstraßen hingegen bewegen sich beständig fort, nichts hält sie davon ab, voranzukommen, Hindernisse umgeht man gegebenenfalls einfach. Was machen Menschen (Autofahrer) falsch, Ameisen aber richtig? Ganz einfach: Sie koordinieren sich und vereinbarten den Gleichschritt, sodass sie nicht einmal stehenbleiben müssen, egal, was passiert. Autofahrer hingegen drängen immer auf das alleinige Vorankommen; dass dieses aber von ihren Vordermännern abhängt, scheint ihnen nicht in den Sinn zu kommen. Und so drängeln sie, wo es nur geht, verursachen damit aber in Notsituationen Stillstände. Ähnlich sieht es dementsprechend in der Flüchtlingskrise aus: Dadurch viele Staaten ihre Nationalinteressen den Gemeinschaftsinteressen voranstellen, ist kein Vorankommen zu erwarten, man drängelt anstatt konsensuelle Vereinbarungen zu treffen, die allen nutzen. Wären Staatschefs und ihre Wähler mehr wie Ameisen, wäre womöglich ein Ende der Flüchtlingskrise absehbar. Doch Menschen sind nun einmal Menschen, und keine Ameisen, und darum müssen unseretwegen Menschen im Mittelmeer ertrinken, obwohl uns die Lösung samt ihrer Mittel in den Händen liegt, und sie nur noch zum Einsatz kommen müssen. 

Egoismus und Nationalismus kosten Menschenleben. Kann sich eine solch wohlhabende Gesellschaft wie die westliche leisten? Nein. Der Nationalismus ist eine überholte Denkweise, die im Mittelalter und bis zum Ende des ersten Weltkrieges en vogue war, mittlerweile aber eine Obsoleszenz ist, an die nur noch Autokraten und Egoisten glauben. Christen hingegen, wie auch Humanisten und Weltbürger, wissen es besser. Wie man aber selbst stehen möchte, muss man für sich allein entscheiden, im monologen Diskurs. Die eigene Entscheidung muss man aber entsprechend mit dem eigenen Gewissen vereinbaren, inklusive aller daraus resultierenden Konsequenzen. Nicht für alle ist ein politischer oder gesellschaftlicher Mainstream verantwortlich, sondern die eigene Entscheidung, die man traf. Sie ist mit bestimmten Konsequenzen unmittelbar verbunden, die aus der Natur des Menschen und seinem geistigen Wesen verbunden ist. Homo hominem non lupus est – Der Mensch ist dem Menschen kein/nicht inhärent ein Wolf. Es hängt von der eigenen Sozialisierung ab, und der Tatsache, dass man seinesgleichen nicht tötet, sofern man sich bewusst ist, wer man ist. Damit ich einen Menschen töten aus niederen Beweggründen töten kann, ohne daraufhin an einem schlechten Gewissen zu leiden,  ich ihm zunächst das Menschsein absprechen. Damit mir das gelingen kann, muss ich aber zunächst eine erhebliche, zermaternde Psychopathie durchlebt haben. Bliebe nur die Frage: Sind Menschen insofern psychisch krank? Davon ist mitunter auszugehen. Ansonsten bleibt die These bestehen: Egoismus und Nationalismus töten. Unser gemeinsames Ziel muss es darum sein, sie beide auszulöschen, sie zu ersetzen durch Internationalismus und Altruismus. Jegliche Wegbereiter der zuerst genannten müssen aber ebenso ausgemerzt werden. Der Konservatismus gehört dazu keineswegs, jedoch der Zentrismus. Die einzigen duldbaren Eigenschaften sind und bleiben der Internationalismus – er bedeutet dem Menschen, dass er seinesgleichen überall auf der Welt respektiert, gleichwohl, wie er aussieht, spricht, oder woher diese Person kommt, die Welt ist ihm ein großes Dorf – und der Altruismus – denn trägt der Blinde den Lahmen, kommen beide mit dem Leben davon. Haben wir diese Tugenden zunächst vereint und unter die Menschen gebracht, ist schon ein Gutsteil für die gesamte Menschheit gewonnen. 

Ich wünsche Euch allen noch einen schönen Sonntag, und kommt gut durch die nächste Woche! 

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