Une Blamage Extraordinaire

Warum das Vorgehen gegen den AfD-Mitbegründer Bernd Lucke fehlgeleitet war

Es geschah am helllichten Tag – und doch wurde niemand ermordet, wie im Film aus dem Jahre 1958. Und doch war es ein Eklat sondergleichen, der tief blicken lässt. Was aber genau geschah? Man vertrieb den Wirtschaftswissenschaftler und ehemaligen AfD-Mitbegründer Bernd Lucke (LKR) aus einem Hörsaal der Uni Hamburg, in welcher er eine Vorlesung zur Makroökonomik geben wollte, sollte. Man beschimpfte ihn als «Nazischwein», dabei hat er mit der rechtsextremen Ideologie der heutigen AfD der Doppelspitze Weidel/Gauland nichts gemein. Doch den Aktivisten der Universität ist das gleich: Einmal AfD, immer AfD. Dabei ist dieses denken falsch; der linke Flügel des gesellschaftlichen Diskurses muss durch Weitsicht und Differenzierung auffallen, nicht durch das Kleid des beinharten, unnachgiebigen Demagogen.
Bernd Lucke hat, zusammen mit Frauke Petry, die AfD gegründet, zunächst als euroskeptische Partei, die auf den Ausstieg Deutschlands aus der EU plädierten. Gründe dafür waren keine sozialen, gesellschaftlichen, sondern vielmehr konservative, rechtsliberale: Man fühlte sich erdrückt von den bureaukratischen Bestimmungen und der Direktion aus Bruxelles. Dadurch man aber auf einer sachlichen und realpolitischen Ebene arbeitete, konnte man zu seinen Zeiten keine sonderlich großen Erfolge feiern, fast schon hätte man mit einer Entwicklung wie bei den «Piraten» rechnen müssen, abgestiegen in den Bereich der Sonstigen. Doch so kam es nicht: Stattdessen infiltrierte ein rechtsextremer Schwarm an Quereinsteigern der Politik die Partei, verdränge die Wirtschaftler und übernahm das Steuer. Lucke stieg schließlich aus der Partei aus, blieb der Politik fern und gründete einige Jahre später eine neue Partei, die Liberalkonservativen. Mit ihr stieg er bei den Sonstigen ein und verließ sie nimmermehr. 
Nun also möchte er als Dozent an der Universität Hamburg arbeiten, auch wenn man ihn nicht lässt. Wie er aber in der WELT geschrieben hat, wird er nicht aufgeben, empand es lediglich als beschämend, dass man ihn als Nazi erachtet, und zu Recht, wie man sagen darf. Zeit seiner Regentschaft für die AfD äußerte er sich niemals rassistisch oder zutiefst nationalistisch. Ohnehin wäre es verwundernswert gewesen, wo er doch augenscheinlich aus dem Bereich der Ökonomie kommt; auch wenn ich hierbei nur aus eigenem Kenntnisstand und Erfahrungen sprechen kann, tendiert man in der Ökonomie bevorzugt in Richtung eines Abbaus von Staat und Bureaukratie als eine Erweiterung des Ganzen. Selbst Anhänger des Goldstandards wie (vermeintlich) die Anhänger der klassischen Theorie oder die Befürworter von Zentralbanken würden Acht geben, wenn es darum ging, die Befugnisse des Staates wie Arme auszuweiten. Der Moloch droht sonst, zum Megalomanen zu verkommen. 
Die nationalistischen Bestrebungen, die die heutige AfD antreiben, wären also nicht vereinbar mit Herrn Lucke, es ist eigentlich eindeutig. Dazu braucht es auch keine ausdrücklichen Verurteilungen dessen, was seine alte Partei heutzutage treibt, im Grunde kann man es sich vorstellen, dass er dafür nichts übrig hat. Er hat sie schließlich auch nicht grundlos verlassen. Wahrscheinlich würde man aber auch die Positionierung der AStA gegen die Protestierenden als Verrat am Linksliberalismus einstufen, wobei man erwartet hätte, dass auch sie sich dagegen aussprechen. Gegen Proteste ist an sich nichts zu sagen, sie sind ein Grundpfeiler der Demokratie; jedoch eine gewöhnliche Vorlesung zur Wirtschaftslehre zum Abbruch zu bringen, weil der Gründer der AfD der Dozent war, ist ein Zeichen von Unverständnis darüber, wer Feind ist, und wer jemand, den man in Ruhe lassen kann, weil er nichts Verwerfliches tat. Bernd Lucke hat nie einen fruchtbaren Boden für Rechtsextremismus bestellen wollen; er war nie ein Nigel Farage, der gegen Ausländer Stimmung gemacht hat, der Lügen und Irrtümer gestreut hat, indem er den Menschen das Blaue vom Himmel versprach. Herr Lucke wusste, wofür er war, und wogegen. Er war nie Populist, sondern ein rationaler Euroskeptiker. Man musste nicht mit ihm übereinstimmen oder -kommen (tat ich auch nie; jedesmal stutzte ich, wenn ich an einem der Plakate vorbeikam, wo vom «Turmbau zu Babel» die Rede war, wenn man weiteres Geld in Griechenland injizierte. Wie man aber dem hierbei verlinkten DLF-Artikel entnehmen kann, schimmerten auch 2017 bereits erste zuwanderungskritische Töne an, doch stellten sie noch eher Randbemerkungen als Kernthemen dar, anders als heute, wo man jegliches Wissen ob der Probleme der heutigen Wirtschaftspolitik unter Peter Altmaier (CDU) vermissen lässt), um zumindest zuzustimmen, dass die Anfänge der AfD und die heutige AfD sich massiv unterscheiden, in faktisch allem, bis auf den Namen. Bernd Lucke als kühler Kalkulator, gegenüber Alexander Gauland, dem dysphorischem Großvater, der andauernd darum bemüht ist, dem Hass ein bourgeoises Gesicht zu geben. 

Was bedeutet es aber für die Linke, wenn man von ihr hören muss, dass sie einen euroskeptischen Wirtchaftswissenschaftler als Nazischwein beschimpft und seine Vorlesungen an einer Hochschule in Grund und Boden stampft, ihn sogar in kindischer Manier mit Papierkugeln bewirft, als ob sie zusammen die Schulbank drückten? Es verheißt vor allem nichts Gutes, weil es von mangelnder Differenzierung zwischen dein einzelnen Einheiten innerhalb und außerhalb der AfD zeugt. Es gibt genügend tatsächliche Rechtsextremisten in- und außerhalb der AfD, da muss man sich nicht auch noch jenen auslassen, die sie ausnahmsweise nicht wiederspiegelten, es auch nie taten. Es stimmt, dass Herr Lucke für die Existenz der AfD insofern verantwortlich ist, dass er sie gegründet hat; was er nicht zu verantworten hat, ist der radikale Rechtsruck, den sie wenig später annahm. Obgleich die Relation zwischen Euroskeptizismus und Xenophobie nicht allzu schwer ist, kann man ihn für letzteres nicht verantwortlich machen. Eine jede international umspannende Dachorganisation, wie sie die EU ist, verdient es, kritisiert zu werden. Entsprechend liegt es an den Euroskeptikern, dies zu tun, wenngleich auch einige unter ihnen tatsächlich nur stupide Nationalisten sind, die in der Rückentwicklung in Richtung souveräner Nationalstaaten, die stur ihre eigenen Interessen über alle anderen stellen, und dabei verkennen, dass vieles nur gemeinsam erreicht werden kann. Jene kann man auch nur so weit ernst nehmen, als dass man sie darauf hinweisen muss, dass ihre Intentionen zwar gütig sein mögen, ihr Vorgehen aber kurzsichtig ist und darum automatisch gegen eine Wand laufen wird .
Nun werden manche womöglich einwerfen: Doch was ist mit den Linken? Viele unter ihnen kritisieren die EU doch bereits auch zur Genüge. Und damit hätten die Leute auch durchaus Recht, die diesen Einwand erbrächten. Ihre Kritik wirkt aber meist recht uninformiert, wenn auch richtig; sie klammern trotz dessen an der EU, würden in ihrer Vielzahl mehrheitlich auf Reformen drängen, wodurch sie (die EU) von innen heraus aufgeräumt, entrümpelt und repariert werden soll, ähnlich einer Maschinerie, die man noch nicht austauschen möchte, weil sie einem noch lieb und teuer ist. Euroskeptiker gehen hingegen zweierlei so weit, dass sie sie direkt auflösen würden, wahlweise aber auch gänzlich neu errichten würden, um zuvor begangene Fehler zu vermeiden; dazwischen lägen hingegen jene, die die EU rückbilden würden auf den Status und der Mitgliederzahl der EWG, dem Grundbaustein der heutigen Union. Letztere beiden dürften aber wohl eher eine Minderheit darstellen. 
Worauf läuft es also letzten Endes hinaus? Folgendermaßen: Zu verallgemeinern hat noch niemandem geholfen. Differenzieren ist jederzeit Trumpf. Selbiges gilt auch für die Devise, dass man nicht mit Rechten reden sollte. Allein die Formulierung impliziert indirekt, dass der gesamte rechte Flügel, d. i. rechts von der Mitte, tabu sei für den aufgeschlossenen Linken von Welt. es wirkt ohnedies unheimlich peinlich, wenn Erwachsene Menschen wie mit Kruzifixen bewaffnet durch die Welt marodieren, und dabei nach ihrer Doktrin leben, nicht mit Rechten zu reden. Der Fehler hierbei liegt schlichtweg darin, dass sie an die Stelle des Dativs das vage Objekt der Rechten platziert haben. Natürlich sind damit eigentlich Individuen gemeint wie die der AfDler und der selbsternannten besorgen Bürger, die eigentlich nur nicht verstanden haben, was ein global vernetztes Transitland wie das deutsche ausmacht, und sich von Lügen, Halbwahrheiten, Hörensagen und Irrtümern speisen lassen, obwohl sie es doch besser wissen könnten. Handelt es sich also bei benannten Gruppen an Individuen um hysterische, jähzornige Hetzer, so bleibt die Devise stehen, dass an ihnen Hopfen und Malz verloren sind und Gespräche entsprechend in Sackgassen beginnen und kein Entkommen daraus zu erwarten ist. 
Sprechen wir aber davon, dass man nicht mit Rechten reden soll, so umfasst es noch mehr als bloß die Wüteriche, nämlich auch diejenigen, die sich rechts einordnen, und trotzdem sehen, was die AfD eigentlich ist. Nun möchte man vielleicht sagen, dass das doch ein jedes Kind weiß, dass mit Rechten nicht wirklich alle Rechten gemeint sind, sondern eben nur die besorgten Bürger und Bürger, denen man es nicht oft genug besorgt hat. Das aber wäre ein naiver Trugschluss, dem man wohl auch verfällt, weil es das Gewissen von jeglicher Skepsis und Misstrauen befreit. Zu leicht wird man dazu verführt, künftig Gespräche mit jeglichen Menschen, mit denen man nicht konform gehen mag, abzulehnen. Das klingt zwar wie das typische Argument eines extremen Rechten, der deklamiert, dass „die grünen Linksfaschisten keine andere Meinung dulden”, doch steckt auch in jedem Märchen noch ein Funken Wahrheit. Hierbei eben, dass die Doktrin, nicht mit Rechten reden zu einer Aushöhlung der pluralistischen Demokratie führt. Man sagt zwar gern, dass man jede duldbare Meinung toleriert, doch am Ende läuft es darauf hinaus, dass man dieser Toleranz eine üppige Fußnote anhängt. 

Was lässt sich also schlussendlich feststellen? Vor allem eines: Die Reaktion auf Bernd Luckes erste Vorlesung an der Uni Hamburg lässt aufhorchen und erschaudern. Es zeigt, dass die Maßnahme, nicht mit Rechten reden zu wollen und die AfD in ihre Schranken zu weisen, faule Früchte trägt. Die Menschen handeln nunmehr wie in einem Wahn, und wissen nicht mehr zwischen Feinden und Geläuterten zu unterscheiden, ganz zu schweigen von jenen, die die rechtsextreme Ideologie nie in sich trugen und eher zu einem unglücklichen Beifang wurden. Die Linke muss, wenn sie auch weiterhin als seriöse Alternative erachtet werden will, solche Individuen entweder aussortieren und sich von ihnen distanzieren, oder sie zumindest auf ihre Fehler hinweisen und darauf hinarbeiten, solche Aktionen in Zukunft zu vermeiden. Sie sollte nicht Gefahr laufen, am Ende diejenigen Clichés zu bestätigen, die die populistische und extreme Rechte jeweils über sie verbreitet. Über die akademische Linke erzählt man sich ohnehin schon genug, und davon wahrhaftig nichts Gutes. 

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