Wort zum Sonntag – KW 47

Wort zum Sonntag, den 24. November 2019

Kinder, bald ist ja schon wieder Weihnachten! – Nun ja, zumindest ist kommende Woche schon wieder der erste Advent, und somit sind es nur noch wenige Wochen bis zur Christmette. Davor durften wir aber noch einen bislang ungelösten Paukenschlag erleben: NPD-Mitglieder und sonstige Nationalsozialisten möchten vor dem Haus eines Journalisten aufmarschieren – sie selbst nennen es eine „Demonstration” – und bekommen dafür sogar den amtlichen Segen. Müsste man sich dabei nicht Gedanken um den Rechtsstaat machen?
Vielleicht sollte man aber zunächst klären, worum genau es ging. Hierfür hat die Süddeutsche Zeitung einen aufschlussreichen Artikel geschrieben, welcher die meisten Informationen bereits intus hat: In erster Linie ging es um den kürzlich an Altersschwäche verstorbenen SS-Soldaten Karl Münter (hier auch nochmal auf Englisch, für diejenigen, die des Französischen nicht mächtig sind), welcher vor allem für das Massaker von Ascq verantwortlich zu machen ist. Mindestens eine Teilhabe daran ist ihm evident zu unterstellen. Kurz vor seinem Tod nahm der NDR noch ein Gespräch mit ihm auf, in welchem er keinerlei Reue zeigte, vielmehr noch Begebenheiten relativierte, ihre Richtigkeit untermauerte, und –laut dem SZ-Artikel – „von Hitler schwärmte”. Mit 93 Jahren verstarb er schließlich, praktisch ungesühnt blieben seine Taten, sodass er postmortem von Gleichgesinnten verehrt wird. 
Weswegen nun der Aufmrarsch gegen einen Journalisten, und was hat er damit zu tun? Nun, dieser Journalist ist auch der Jemand, welcher das Gespräch mit Münter führte, somit nicht nur ihr Idol durch den Dreck zog (ihrer Ansicht nach), sondern auch Teil der „Systemmedien” ist, welche durch die „Zwangsgebühren”, also die GEZ-Gebühren, finanziert werden (Wer sich traut, oder einfach Lust auf gute Laune hat, kann sich auch gerne den offiziellen Aufruf der NPD Hannover zum Marsch durchlesen. Internetjargon garantiert). Einiger Grund also, wütend zu sein auf diesen ominösen Journalisten. Gleichzeitig sollte man glauben, dass ein solcher Aufmarsch, der selbstverständlich angemeldet werden muss beim Ordnungsamt, um nicht durch die Polizei aufgelöst zu werden, verboten wird, weil für den Betroffenen, auf den er zielt, zur Gefahr werden könnte. Es ist zugleich naiv zu glauben, dass es bei einem bloßen Aufmarsch bleiben wird, wobei auch das schon angesichts des Kontexts bereits ein Unding ist; letztlich ist es aber auch ein Manko der Legislativen selbst, die solche Eventualitäten außer Acht lässt, und somit auch Rechtsextremisten Tür und Tor offen hält, mittels angemeldeten Demonstrationen, bei dem alle Regularien ansonsten gegeben sind, Einschüchterungsversuche gegen Privatpersonen und Journalisten, folglich die Presse, zu unternehmen. Liest man insbesondere folgendes Zitat aus dem SZ-Artikel: 
Man müsse ihn "in die Schranken weisen!", heißt es da als Motto, "Schluss mit steuerfinanzierter Hetze!" Als "Höhepunkt seiner hetzerischen Journalistentätigkeit" betrachtet die NPD die Sendung über Karl M. 
 Sollte einem klar sein, dass seine Sicherheit nicht länger gewährleistet ist. Ohnehin ist es bekannt, dass viele NPD-Funktionäre selbst auch vorbestraft sind, beispielsweise wegen Körperverletzung. Auch in Niedersachsen selbst sieht es nicht viel besser aus: Landesvorsitzender der Partei ist Manfred Dammann, 60 Jahre alt, und saß von 2013 bis 2017 für die NPD im Bundestag (laut Abgeordnetenwatch). Laut „Köln gegen Rechts unterhält er überdies den Videoblog Nordland TV”, wo er Beiträge populärer Persönlichkeiten aus der nationalistischen Szene teilt, aber auch selbst Diskussionen aufzeichnet. Straftaten sind wohl nicht bekannt, erwähnenswert ist lediglich, dass er das Video des ehemaligen Anwalts und Rechtsextremisten Horst Mahler (welcher seines Zeichens ebfalls von 2000 bis 2003 Mitglied in der NPD war und Aufsehen erregte, als er mit seinem Versuch, politisches Asyl in Ungarn zu ersuchen, scheiterte, somit am Ende doch in deutsche Haft gelang, welcher er mit seinem Asylantrag zu entgehen vorhatte). Auch der Stellvertreter Andreas Haack fiel bislang nicht in krimineller Manier auf, obgleich er doch Präsenz in der Öffentlichkeit wissen lässt. Die Auffassung des Bundesamtes für Verfassungsschutz lässt sich also nachvollziehen, wie sie in der inoffiziellen Fassung des Verfassungsschutzberichtes (PDF) 2018 schrieben:
Für den niedersächsischen Landesverband gilt wie bisher die Einschätzung, dass aufgrund der vielfach inaktiven Unterbezirke und der geringen Kampagnenfähigkeit auch in Zukunft der Bedeutungsverlust der NPD voranschreiten wird. Seit der Abwahl Ulrich Eigenfelds und der Neuwahl von Manfred Dammann als Landesvorsitzenden im Jahr 2017 ist der Landesverband neonazistischer geprägt und innerhalb der Bundespartei dem völkischen Flügel um Heise zuzurechnen. Neben Dammann gehören auch die Vorstandsmitglieder Gianluca Bruno und Andreas Haack sowie der Vorsitzende des Unterbezirks Heide-Wendland, Börm, zu den Erstunterzeichnern der Proklamation des völkischen Flügels innerhalb der Bundespartei. (Vorabfassung Verfassungsschutzbericht 2018 – Niedersachsen. S. 49)
Das muss natürlich nicht bedeuten, dass nicht diejenigen, die sich ebenfalls in der neonazistischen Szene bewegen, deswegen ebenso unbedenklich (im weitesten Sinne) sind. Es könnte aber ein Indiz dafür sein, dass sie wussten, dass ihr Marsch genehmigt werden konnte, weil sie selbst nicht auffällig wurden, und ihretwegen schließlich kein erhöhtes Gefahrenpotential bestand. Solange sie überdies keine gesetzeswidrigen Unternehmungen vornehmen, kann man ihnen das Recht nicht abstreiten. Ein Blick in den Gesetzestext lässt auch sofort vermuten, dass man diese Veranstaltung hätte unterbinden können, ohne dabei irgendwelche ideologischen Hammelsprünge zu unternehmen, oder irgendwelche Paranoia oder düst're Vorahnungen wirken lassen zu müssen: Hätte man das Verbot der NPD damals, vor (zwei) Jahren durchgesetzt, hätte man ihnen jetzt gemäß des geltenden Versammlungsrechts vorwerfen können, dass sie für eine verfassungsrechtlich verbotene Partei demonstriert hätten, und man ihre Versammlung entsprechend hätte auflösen können. Immerhin ist die NPD zweifellos verfassungsfeindlich, und sollte entsprechend verboten werden. Es käme mit eben solchen Vorzügen einher, welche man einsetzen sollte, auch des Personenschutzes wegen. 
Image by Gino Crescoli from Pixabay
Andernfalls müsste einfach der ideologische Hammelsprung folgen, auch wenn es ignorant und einseitig wirken möchte. Man sollte bekennend rechtsextremen Gruppierungen einen Strich durch die Rechnung ziehen, damit niemand durch sie Schaden nehmen muss. Die Demonstranten werden keinen Hehl aus ihren Intentionen machen, wenn sie bereits mit lautstarken Begriffen um sich werfen, womöglich wird es auch nicht bei einer bloßen Demonstration bleiben. In einer Partei, in der noch mindestens ein Viertel aller Mitglieder vorbestraft waren, besteht ein zunehmendes Gefahrenpotential, auch wenn die Politiker eines bestimmten Landesverbandes bisweilen nicht auffällig wurden. Ohnehin sollte davon abgesehen werden (müssen), durch Wohngebiete ziehen zu dürfen bei Demonstrationen, da niemand etwaigen Demonstrationen ausgesetzt werden sollte, wenn er oder sie das nicht möchte. An keiner Stelle steht im Gesetzestext geschrieben, dass jemand grölenden Menschen ausgesetzt sein muss, die durch die Straße am hauseigenen Fenster vorbeiziehen; an keiner Stelle im Gesetzestext steht geschrieben, dass Demonstranten in ihren Rotten ein Anrecht darauf hätten, eine Ortschaft ob ihrer Meinung kundtun zu dürfen. Wer meinen Text zu Demonstrationen gelesen hat hat, weiß, dass ich von solchen friedlichen Straßenzügen recht wenig halte, da sie in der Regel nichts bewirken können (Ausnahmen bestätigen die Regel), und speziell in dieser Situation haben wir es obendrein auch noch mit einer rechtsextremen „Gegenbewegung” zu tun, wodurch mindestens der glimmende Verdacht auf mögliche Sachbeschädigung steht. Davor sollte der Rechtsstaat seine Bürger schützen. 

Das Problem dabei ist lediglich, dass das Gesetz relativ starr funktioniert, und deswegen keine solchen ideologischen Handlungen zuließe. Solange nicht der gestützte Verdacht besteht, dass Gefahr vonseiten der Demonstranten ausgeht, dürfen sie passieren, allen Sorgen zum Trotz. Auch deswegen wurde ihr letzten Endes stattgegeben. Da bereits ein Verbot scheiterte, alle Regularien passten, und selbstredend auch die Polizei präsent sein wird, darf die Demonstration stattfinden, und man selbst steht in gewissermaßen vor einem Dilemma: Entweder muss man einsehen, dass es ein Zeichen dafür ist, dass der Rechtsstaat versagt hat, weil er Gruppierungen, die ihn selbst entweder infrage stellen oder ihn geradeheraus ablehnen, frei herumlaufen und Parolen gegen ihn skandieren lässt, oder aber man sieht es aus der Perspektive, dass er obsiegt, weil er auch strittige bis gefährliche Meinungen zulässt und sich nicht unterkriegen lässt. Beide Seiten können in gewissermaßen Recht haben, doch sollte man nie aus den Augen lassen, wofür die NPD letzten Endes steht. 
Was es gegebenenfalls brauchen könnte, wäre ein positiver Präzedenzfall, auf welchem man sich stützen könnte, um ein Auftrittsverbot zu erwirken, wodurch sie nicht mehr in solch kritischen Kontexten demonstrieren könnten, eben beispielsweise an den Wohnhäusern bestimmter Personen entlang, sofern dies als Einschüchterungsversuch gewertet werden kann, wie es auch bei Kommunalpolitikern der Fall war. Derartiges sogar nach Anmeldung praktisch zuzulassen, wie in diesem Fall, kann sich auch bedrohlich auswirken auf die Demokratie selbst. Aus der einstmaligen Wehrhaftigkeit der Demokratie wird ein devotes Knien vor der Gewalt, der ihr einen metaphorischen Nackenschuss verpassen möchte. Vielleicht wäre es also besser gewesen, sie hätten sie verboten. 

Ich wünsche noch einen schönen Sonntag!

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