Streit- oder Hetzkultur?

Was uns die Raute #donalphonso über die Streitkultur der heutigen Zeit sagt

Am vergangenen Wochenende trendete auf Twitter eine Raute, von der ich nicht erwarte, dass sie jemals auftauchen könnte, war doch der Name an sich in aller Munde; andererseits war ich auch verwundert, dass er erst jetzt auftauchte. Es ging um den Kolumnisten Rainer Meyer, besser bekannt unter seinem Pseudonym Don Alphonso. Ehemals schrieb er für die FAZ, später wechselte schließlich zur WELT (manch einer meint, dass die „Übermedien” seinen Rausschmiss bei der FAZ zu verantworten hätten; so auch Meyer selbst). Grund war damals noch das Fotografieren von Migranten in Berlin-Kreuzberg. Diesmal ging es um einen Tweet, den man augenscheinlich fehlinterpretierte. Glücklicherweise zog sich der Skandal nur über ein Wochenende. Die Symptome dagegen hallen nach.


Schon einmal habe ich zum Thema Meinungsfreiheit in einem solchen Zusammenhang geschrieben, dabei ging es noch um die Vorfälle um Bernd Lucke an der Universität Hamburg und um die Buchvorstellung Thomas de Maizères. Nachzulesen sind die Texte hier und hier

Normalerweise treten Hypes und Hysterien zu häufig auf, als dass man ihnen mehr Beachtung schenken sollte als sie ohnehin anzuhalten neigen. Doch selten geht es um derartige Hysterien um einen Kolumnisten, der nicht selten zur teils provokativen und aufrührerischen Kritik an der Gesellschaft neigte. So tat er es anfangs in seinem FAZ-Blog, Stützen der Gesellschaft”, und setzte er es schließlich fort unter selben Namen bei der WELT. Es gibt gute Gründe, warum es wegen eines Autors keinen solchen Aufschrei gegeben hätte, wie es kürzlich der Fall war: Einerseits gab es das Internet nicht, weswegen Autoren und Journalisten nicht dergestalt am öffentlichen Leben auf Augenhöhe mit ihren Lesern, Kritikern und Gegnern kommunizieren konnten; und andererseits wusste man früher noch Gegensätze zu schätzen anstatt sie zu verachten. Dazu kommen wir aber später noch. 
Die Frage ist vielmehr, weswegen ausgerechnet dieser Tweet so viel Aufsehen erregte, dass man kurzerhand mit einer Raute für knapp zwei Tage in die Trends gelangen konnte (am Montag, den 18. November 2019, befand man sich damit nicht einmal mehr in den Top 20 der Twittertrends). Liest man ihn nochmal in Kürze durch – wohl scheinbar handelte es sich nur um die Konversation in drei Kommentaren, da auch an anderer Stelle immerzu von der sogenannten „Quittung” die Rede war –, kommt man zu der Schlussfolgerung, dass die Vorwürfe, dass Herr Meyer angestiftet hätte zu einer Hetze gegen Frau Kuhnke (alias @ebonyplusirony) , auch wenn manche es anders einstuften. Ohnehin warf man Herrn Meyer stets unterschwelligen Aufruf zur Hatz gegen seine Gegner auf, so auch im oben verlinkten Artikel der Übermedien. Beweise im Fall des vergangenen Wochenendes wurden jedoch nicht deutlich. Genauso sehr, wie man die Raute als einen solchen Aufruf werten konnte, obgleich Frau Kuhnke es bestritt, kann man auch Herrn Meyer nicht vorwerfen, absichtlich Menschen auf Twitter anzuprangern, auf dass seine Follower sie öffentlich anfeinden sollten. Gleichzeitig wurden beide Seiten auch von der jeweils anderen Seite angegriffen, unter solchen Vorfällen ist der Begriff der Gruppendynamik zu verstehen, ungeachtet irgendwelcher politischer Couleurs. Politische Ansichten spielten auch in diesem Konflikt eine eher untergeordnete Rolle, vielmehr kann man diesen Vorfall als einen Kampf zwischen zwei Interessengruppen sehen, bei der die eine Gruppe die andere in ihrer Integrität kränkte, woraufhin diese Gruppe mit einer ähnlichen Taktik reagierte, und so schaukelte sich die gesamte Angelegenheit hoch. Gelegentlich beklagte man sich noch über Drohungen, doch wie Herr Meyer selbst sagte, gibt es noch die Gesetze: Wer befürchtet, um die persönliche Unversehrtheit beraubt zu werden, kann die Sache an die Polizei weiterleiten, welche sich daraufhin um die Sache kümmern wird. Insgesamt ist das noch immer sicherer, als das betreffende Profil via des „NetzDG zu melden; die Erfolgschance ist weitaus höher. 
Diskussionen, sofern sie gelingen, können den
eigenen Horizont erweitern. Gegenseitige Anfeind-
ungen verschränken ihn lediglich. 

(Image by Gerd Altmann from Pixabay)
Ist das eine Relativierung irgendeines Täters, gar eine Solidarisierung mit ihm (oder ihr)? Dafür müsste erste einmal geklärt werden ob es hierbei einen Täter geben kann. Einen solchen festzustellen setze einmal voraus, ob man tatsächlich davon ausgehen kann, dass mit der„Quittung” der Straftatbestand des Aufrufs zur Gewalt gewährleistet ist. Diese Unterschwelligkeit könnte als Absicht erachtet werden, um einen Hohlraum zu schaffen, welcher jeder für sich interpretieren kann: Die einen werden sagen, dass es eindeutig kein Aufruf zur Gewalt sei, während die anderen sagen werden, dass es eindeutig einer sei. (Wer sich beschweren möchte, dass ich nur für eine Seite ein Beispiel zeigte: Mir lag kein Beispiel für die andere Seite da, und da dieser Blog nur als Hobby geführt wird, sehe ich mich auch nicht gezwungen, mehr Arbeit, als ich möchte, reinzustecken) Die Frage ist immer, wie viel Verantwortung teilweise idolisierte Individuen für Taten ihrer Fans tragen können. Als Gegenbeispiele zu dem, was man Herrn Meyer vorwerfen möchte, kann man beispielsweise auch den Bewegungen „Reconquista Internet” (dazu sei auch ein Kommentar aus dem Feuilleton der FAZ zu empfehlen. Oder, wie Don Alphonso-Gegner sie gerne nennen: Den Steigbügelhalter der Rechten, oder die intellektuelle Version der WELT) und/oder „#hetzlichendank” vorwerfen: Mindestens ersteres hat eine solch idolisierte Figur an der Spitze, nämlich den Entertainer Jan Böhmermann, welcher mit seiner spätabendlichen bei ZDFNeo ausgestrahlten Sendung „Neo Magazin Royale” Bekanntheit erlangte und „Reconquista Internet” ins Leben rief. Der Aufruf lautete, rechtsextreme Inhalte im Netz zu melden und anzuprangern, doch weiß man bereits nach kurzer Zeit in den Sozialen Netzwerken, dass das Verständnis darob, was eigentlich als rechtsextrem einzustufen ist, nicht immer ganz sicher zu sein scheint, und man deswegen gerne einmal mit dem Knüppel weiter ausholt als es der Sache gut tut. Ob es jedoch jemals auftrat, dass jemand Beschwerde einreichte, weil ihn ein Mitstreiter von „Reconquista Internet” zu Unrecht meldete und daraufhin die Sperre des Accounts einleitete, ist zumindest mir nicht bekannt. Wie aber auch schon im FAZ-Artikel herausgestellt wurde, gibt es durchaus berechtigte Zweifel an der Aktion selbst, und wie man sich denken kann, ist im abstrakten Aufruf, solchen Menschen mit Liebe und Vernunft zu begegnen, nicht gemeint, sie zu umarmen und sie zu einer Tasse Kaffee einzuladen, um sich mit ihnen und den gegenseitigen Sichtweisen auszutauschen. Sie zu blocken, sodass man sie nicht mehr sieht, wäre eine denkbare Option, die weit verbreitet ist, eine andere wäre das kollektive Melden, um ihre Sperre zu erzeugen. Immerhin ist die Meldung bei Polizeidienststellen auch in solchen Kreisen eine ultima ratio, die nicht so häufig angewandt wird, auch aus Gründen des Selbstschutzes: Würde man mehrfach und flächendeckend Menschen anzeigen wegen (angeblicher) Volksverhetzung, welche am Ende als vorsätzliche Denunziation festgestellt werden kann, kann man selbst mit einer Strafanzeige rechnen. Jemanden im Netz den Hahn zuzudrehen, ist dagegen weitaus ungefährlich, da die betreffende Person in der Regel keine Repressionen jenseits der temporären oder schlimmstenfalls permanenten Sperre des entsprechenden Accounts zu rechnen hat, jedoch jederzeit einen neuen Account auf derselben Plattform einrichten kann. Man käme also darüber hinweg, könnte beim Neustart die meldende Person, sofern bekannt, präventiv blockieren, um etwaige Zusammenstöße zu vermeiden. 
Doch wir kommen vom Thema ab: Was genau hätte dieser Vorfall nun mit der Streitkultur und mitunter auch mit der Meinungsfreiheit zu tun? Beiderlei ist wohl offensichtlich, doch nicht der Reihe nach. Niemandes Meinungsfreiheit wurde hierbei eingeschränkt, vielmehr stand es jedem offen, seine oder ihre Meinung preiszugeben, doch beide Seiten mussten jeweils auch mit den daraus resultierenden Konsequenzen rechnen. Dass der Ton im Netz verroht ist, ist keine Neuigkeit, nur manchmal schwappt etwas davon auch ins Fernsehen, wo aufgewiesen wird, dass Fehlgriffe der pikanten Art nicht exklusiv rechter Natur sind. Demgegenüber zeigte man aber auch keine Reue, sondern versuchte, die Äußerung zu relativieren. Auch wenn man es der „AfD-Watch Heidelberg” erst nachweisen müsste, kann man durchaus eine Doppelmoral vorwerfen; solange eine Aussage nicht widerrufen wurde, sollte das Alter nicht von Belangen sein. Morddrohungen würden auch nicht verjähren, oder Aufrufe zur Gewalt gegen Individuen oder Gruppierungen. 

Was könnte man also grundsätzlich noch anmerken, da die Situation ohnehin bereits irreparabel vertrackt scheint, und man auf keinen grünen Zweig kommen wird. Man könnte noch einmal auf eine vielsagende Talkrunde zum Thema Meinungsfreiheit bekommen, bei welcher neben den Politikern Cem Özdemir (B'90/Die Grünen) und Dorothee Bär (FDP) der Pianist Igor Levit und der Blogger und SPIEGEL-Kolumnist Sascha Lobo eingeladen waren. Während die beiden Berufspolitiker sich weitestgehend zurückhielten, traten die beiden weiteren Gäste umso mehr hervor: Während Herr Lobo sich für „bestimmte Form der Regulierung von Meinungen" (O-Ton Lobos laut SZ) aussprach (ohne weiter zu elaborieren, wie er sich das vorstellt, und welche Meinungen – er sprach hierbei explizit von Meinungen –, wovon auch für die Gäste im Talk unisono Rassismus und Faschismus auszuschließen sind), wurde noch einmal Levits Aussage aus dem Jahre 2015 ausgegraben, wo er davon sprach, dass AfD-Politiker Menschen seien, die „ihr Menschsein verwirkt” hätten (Levit selbst hat den Tweet in der Zwischenzeit gelöscht, doch findige Twitternutzer haben ihn per Screenshot gesichert: Er ist hier aufzufinden). Von dieser Position trat er auch während der Sendung nicht ab, auch wenn es bekannt ist, das totalitäre Regime die Entmenschlichung ihrer Feinde anwandten, um es einfacher zu machen, gnadenlos gegen sie vorzugehen, ohne am Ende Zweifel an der Rechtmäßigkeit(1) solcher Methoden auftreten. Wahrscheinlich war es nicht unbedingt die Intention Levits, vergleichbare Maßnahmen zu ergreifen gegen AfD-Politiker, -Wähler oder -Sympathisanten, doch sollte man sich dabei nicht allzu sicher sein. Bis dahin sollten wir also festhalten, was in Teilen auch schon in einem Kommentar der FAZ erwähnt wurde: Die Stimmung ist angespannt, und die Linksliberalen der heutigen Zeit verirren sich in einem Labyrinth der liberalen Demokratie. Diese Aussage selbst, obgleich wir sie wirklich festhalten sollten, stimmt nur in Teilen. Sich in diesem Labyrinth zu verirren, bedeute zunächst, sich willentlich dort hinzubegeben, jedoch nicht zu wissen, wie man laufen muss, um am anderen Ende wieder herauszukommen. Diese Menschen hingegen, mustergültig die Herren Lobo und Levit, wussten durchaus, was die liberale Demokratie bedeutet, wofür sie steht; sie wussten, wie sie am anderen Ende wieder herauskämen. Es wäre falsch, ihnen zu unterstellen, Antidemokraten zu sein, immerhin haben sie gute Intentionen im Hinterkopf, sie wollen die liberale Demokratie beschützen. Das Problem ist nur, dass sie übereifrig handeln und darum fatale Missverständnisse aufnehmen, welche letztendlich dazu führen, dass sie unzählige Kollateralschäden erzeugen. Da sie aber nicht zur Genüge darauf hingewiesen werden, führt es darauf hinaus, dass sie sich in diesen Kollateralschäden bestätigt sehen, und entschlossen fortfahren in dieser Manier. 

Warum sind wir jetzt aber so weit vom eigentlichen Thema – Don Alphonso – abgekommen? Weil es wichtig war. Denn was Herr Lobo und Herr Levit zur Schau stellten bei Maybrit Illner, ist dasselbe Problem, welches auch bei Don Alphonso auf Twitter deutlich wurde: Selbsternannte Beschützer der liberalen Demokratie und Bekämpfer des neu aufkeimenden Faschismus benutzen eine oberflächliche und denunzierende Argumentationsweise, wodurch sie nicht allein diejenigen treffen, die es auch durchaus treffen sollte, sondern auch diejenigen, die lediglich eine opponierende, jedoch angemessene Meinung vertreten, der sie aber keinen Raum bieten wollen. Infolgedessen tragen auch sie zu einer zunehmend vergifteten Atmosphäre bei, in welcher es immer schwieriger wird, diskutieren zu können, weil die Stimmung dauerhaft angespannt und wütend ist. Die Tatsache, dass Herr Lobo es für angemessen hält, die AfD samt ihrer Wähler, Sympathisanten und Politiker zu hassen, ist bezeichnend. Nicht, weil es falsch ist, die AfD zu hassen, sondern Hass an sich zu legitimieren, wenn es die Richtigen trifft. Hass verblendet, weswegen es fortan unmöglich wird, das eigene Ziel zu erreichen. Hass ist das falsche Mittel, um Hass zu bekämpfen; noch schlimmer ist es, zu glauben, dass der Zweck die Mittel heiligen kann. Jedes Mittel muss ungeachtet seines Zwecks hinterfragt werden, um es zu legitimieren. Nichts kann von sich aus gerechtfertigt sein, vor allem nicht der Hass. 
Das aber ist ebenfalls ein Kernproblem der modernen Linksliberalen: Ihnen mangelt es an der nötigen Selbstreflektion, um ihr Tun, ihre Taten zu hinterfragen, sie zu legitimieren durch einen Prozess des Hinterfragens und in-sich-Gehen. Sie sehen durch die Extremität der Bundes-AfD all ihr Tun, sofern es der AfD schadet, als gerechtfertigt; oder zumindest: Wenn sie glauben können, dass es der AfD schadet. Denn auch das ist ein Problem: Sie haben ihr Ziel vor Augen verloren, weswegen sie nur noch zuschlagen, wie mit einem Kreisel, der alles um sich herum trifft, ob Freund oder Feind. Das Resultat sehen wir auf jeden neuen Tag, und die AfD steigt in ihren Umfragen. 

Auch deswegen sollten wir uns vielleicht ausnahmsweise einen Rat Don Alphonsos vom heutigen Tage zu Herzen nehmen: 

Damit hat er durchaus Recht: Wer noch vertrauen hat, dass der Rechtsstaat uns vor dem Erwachsen eines neu aufkeimenden Faschismus retten kann, sollte sich doch nicht wie die Axt im Walde benehmen, sondern wie ein Staatsbürger, der weiß, dass die Welt noch in Ordnung ist, weil die Mühlen der Justiz und der Bureaukratie geruhsam mahlen und dabei die Integrität und die Grundrechte bewahren. 
Wer ihm aber nicht mehr trauen kann, sollte sich fragen, wen er oder sie eigentlich verteidigt, wenn er oder sie so lautstark gegen die AfD und all ihre subordinierten Individuen ausholen: Den Staat, oder die Menschen, die die AfD (angeblich) angreifen, tot sehen wollen im schlimmsten Fall. Der Staat kann es in der Regel ja nicht sein, da dieser ja in der vorangegangenen Frage bereits für verdorben und dysfunktional erklärt wurde. Die Menschen also. Daraufhin folge schließlich die dritte Frage: Braucht es noch einen Staat, wenn dieser trotz vorangegangener Erfahrungen abermals in dieser Problematik – dem Faschismus von innen heraus – versagte. Kann er es denn in einem dritten Anlauf schaffen, oder wäre es an der Zeit, ihn aufzugeben, und eine neue gesellschaftliche Ordnung zu versuchen, beispielsweise eine kommunalistische? Es wäre einen Versuch wert, wie ich auch in einem anderen Text bereits ausgeführt habe. Diese Fragen aber sollte man sich stellen, um auch erste Anstöße zu unternehmen, die eigenen Taten a priori zu hinterfragen. Ohnehin wäre es weitaus besser, würden die Menschen wieder mehr denken als zu tun. Die Welt wäre eine bessere, geschlossenere, ruhigere. 

Vielen Dank! 


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(1) Johannes Steizinger (2018) The Significance of Dehumanization: Nazi Ideology and Its Psychological Consequences, Politics, Religion & Ideology, 19:2, 139-157, DOI: 10.1080/21567689.2018.1425144

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