Wort zum Sonntag – KW 48

Wort zum Sonntag, den 01. Dezember 2019

Es scheint wohl so, als ob diesen Dezember ein letztes Mal der 13. auf einen Freitag fallen wird, doch darum soll es nicht gehen: Vielmehr hat einmal mehr eine deutsche Zeitschrift für Politik und Kultur die Frage nach Ausdrücken wie den Negerkuss oder das Zigeunerschnitzel aufgeworfen (exklusiv für Abonnenten, wohlgemerkt), wobei der Aufschrei darob nicht länger als einen Tag anhielt. Dennoch möchte ich noch einmal darüber schreiben, weil ansonsten wieder die AfD auf dem Plan stünde. Dabei sollte die Frage an sich eine ganz offensichtliche sein, ebenso wie ihre Antwort.
Theoretisch kann es an sich keinen offensichtlichen Grund geben, weswegen man solche Ausdrücke verwenden sollte, wo es doch auch alternative Ausdrücke dafür gibt, die ebenso massentauglich verstanden werden, und dabei keineswegs alberner oder sperriger klingen. Den Negerkuss könnte man einfach als Schaumkuss bezeichnen, das Zigeunerschnitzel als Paprika- oder Pusztaschnitzel bezeichnen („Openthesaurus” bot mir überdies noch das Wort Balkanschnitzel an, wobei ich noch niemandem persönlich begegnet bin, der es so bezeichnet hätte). Es gibt keinen guten Grund, diese diskrimierenden Ausdrücke zu gebrauchen, da sie weder als Kulturgut sinnvoll zu erhalten wären, obgleich ihre Geschichte durchaus weiter zurückliegt: Neger entlehnt sich dem Lateinischen „Negro”, was schwarz bedeutet und entsprechend auf die dunkle Hautfarbe anspielt. Selbiges gilt auch arbiträr für den Ausdruck „Mohr”, welches für Komposita wie dem Mohrenkopf (ein Synonym für den Schaumkuss) oder der „Mohrenapotheke”. Speziell der Mohrenkopf wird zumindest im Grimmschen Wörterbuch erstmals 1885 erwähnt (Das Wort muss hierfür selbst ersucht werden, da die Suchanfrage nicht direkt in der URL verzeichnet ist), zu einer Zeit, als, wie das Schweizerische „Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus” zu vermerken weiß, Kaiser Wilhelm II. mit seiner „Weltpolitik” in südwestafrikanische und ozeanische Gebiete einzog, um Kolonien zu errichten (oder, wie er es nannte: Dem deutschen Volke einen Platz an der Sonne zu sichern). Man zog also damals an einem Strang mit politischen Trends hinein in exotische Gebiete, was aber nichtsdestoweniger aus heutiger, aufgeschlossenerer Sicht geradezu martialisch erscheint. Solche Ausdrücke heutzutage nicht mehr zu gebrauchen ist also nur sinnvoll, weil wir unseren Vorfahren eines voraushaben: Wir wissen es heutzutage besser, dank detaillierter Geschichtsschreibung und Historikern, die einen höheren Kenntnisstand möglich machen. 


Diversität und Gastfreundschaft – „Kulturmarxismus” oder ein Zeichen von Respekt?

Insbesondere aber in einer zunehmend diverseren Gesellschaft, zu welcher sich Deutschland graduell entwickelt, ist ein wenig mehr kulturelle Sensibilität nicht allein wünschenswert, sondern vor allem zu erwarten. Dabei enthält dieser Satz allein bereits zwei Stichworte, die vor allem Rechtspopulisten und teils feindseligen Konservativen sauer aufstoßen: Diversität, und (kulturelle) Sensibilität. Einerseits sehen – vor allem erstere – in einer zunehmenden Diversifizierung der Gesellschaft einen großen Umtausch der weißen Bevölkerung mit Afrikanern und Arabern; andererseits erwarten – vor allem letztere –, dass sie sich, wenn sie, die Flüchtlinge und Migranten, hier Asyl suchen, der westlichen Gesellschaft anpassen, sich also assimilieren, nicht umgekehrt: Dass die westliche Welt sich ihnen anpasse. Das sei schließlich ein Unding. 


Die Frage bei der Gastfreundschaft und wie weit die daraus erwartete/erwartende
Gegenleistung gehen darf, ist eine durchaus strittige Frage (© Welcome-Dinner.de)

Ein Stück weit ist eine solche Kritik durchaus nachvollziehbar: Auch Gastfreundlichkeit hat ihre Grenze, ein gegenseitiges Entgegenkommen ist angebracht. Das bedeutet entsprechend, dass man nach Möglichkeit Obhut bietet und die nötige Versorgung für ein menschenwürdiges Leben. Entsprechend muss aber auch vom Gast (entsprechend der Flüchtling oder der/die Migrant/in) eine Gegenleistung zu erwarten sein, sprich: Anpassung an die lokalen Gepflogenheiten. Ohne nunmehr in eine erneute Debatte ob der Leitkultur zu gleiten, halten wir hierfür fest: Die Einhaltung des Gesetzes, also des Grundgesetzes und aller sonstigen Gesetzesauflagen, die auch für alle anderen Menschen in Deutschland gelten. Ansonsten genießen auch Migranten und Migrantinnen, wie auch alle Flüchtlinge, dieselben Freiheiten wie auch jeder sonst, gemäß der Redensart, dass jemandes Freiheit dort aufhört, wo jemand anderes Leid anfängt. Dass die deutsche Sprache, nebst der Englischen, in Deutschland von essentieller Wichtigkeit ist, merkten die neu Hinzugezogenen spätestens dann, wenn sie merken, dass man mit Urdu oder Arabisch, egal welchen Dialekts, nicht weit kommen wird, mit Ausnahme einiger kleinerer spezialisierter Geschäfte, welche von Inhabern geführt werden, welcher solcher Sprachen mächtig wären. 
Man kann aber der öffentlichen Debatte ansehen, wer die Zügel in der Hand hält: Diejenigen, die ein wenig mehr entgegenkommen mögen als man ihnen entgegenkommt. Das muss auch gar nichts Schlimmes sein, solange man die Contenance bewahrt und sich niemandem unterwirft. Entgegen der landläufigen Meinung der Rechtspopulisten ist dem auch nicht so, wobei demgegenüber angemerkt werden muss, dass auch von links die Bereitschaft zur Debatte zunehmend abnimmt, wie beispielsweise aufgefallen bei Vorlesungen zur Makroökonomie an der Uni Hamburg, gehalten von Bernd Lucke (worüber ich selbst auch bereits schrieb), als der ehemalige Bundesinnenenminister Thomas de Maizère sein Buch vorstellen wollte, oder als der FDP-Vorsitzende Christian Lindner eine Debatte führen wollte, ebenfalls an der Uni Hamburg – dort sagte man ihm geradeheraus ab. Am Rande sei dabei auch noch die Rede Alice Schwarzers erwähnt, welche ebenfalls von solch schallenden Protesten begleitet wurde; sie selbst äußerte sich dazu in einem Interview mit Florian Klenk, dem Chefredakteur des österreichischen Falter. Doch das ist ein anderes Thema. Hierbei soll es primär um die Sprache und um Integration gehen. Sprechen wir über Sprache, so geht es teilweise auch um die historische Erinnerungskultur, neben Ausdrücken, die nicht nur archaisch sind, sondern auch diskriminierend, eben wie die beiden oben genannten Beispiele des Schaumkusses und des Paprikaschnitzels. Man kann dieses Thema auch noch ausweiten auf die USA, wo es des Öfteren zu Protesten um Konföderiertenstatuen kam, welche aus Stadtbildern entfernt werden sollten, weil ihr Auftreten einer Huldigung der Dargestellten gewertet werden kann. Die Konföderierten waren die Soldaten der US-amerikanischen Südstaaten, welche gegen die Nordstaaten kämpften, um ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Indirekt ging es ihnen vor allem aber auch um die Erhaltung der Sklavenhaltung von Afroamerikanern, wofür sie heutzutage insbesondere stehen, da auch insbesondere diejenigen, die sich auf sie rückbesinnen, als Rassisten einzustufen sind. 
Ein aktuelleres Beispiel, welches aber auch näher an uns Deutschen liegt, und noch einmal Bezug nimmt auf die Kolonialzeit, ist die Debatte um die Umbenennung von Namen wie Museen, welche, ähnlich wie Statuen, einer Huldigung der Personen, deren Namen sie tragen, gleichkommen: In den Niederlanden ist das der Fall, dort tragen auch Museen die Namen von Händlern der „Vereenigde Oostindische Compagnie” (VOC), welche im „Guldene Eeuw” (im Goldenen Zeitalter) beispielsweise ganze Inselvölker ausmerzten, um das Gewürzmonopol zu erhalten. Das soll sich nun ändern, und abermals scheint das Thema oberflächlich eine parteiische Frage zu sein; auch hier sehen vor allem Rechte ihre Kultur bedroht, weil sie von angeblichen „Kulturmarxisten” bedroht wird. Linke hingegen wollen keine Kriegsverbrecher im öffentlichen Raum preisen. Ganz ähnlich sah es überdies bei der Debatte um den „Sinterklaas” aus und seinem „Zwarte Piet”: Überwiegend Rechte wollten ihn als nationales Kulturgut erhalten, Linke sahen dahingegen in ihm die Verharmlosung rassistischer Ressentiments. So fahren sich viele Debatten irgendwann fest, lediglich in den USA hat man schlussendlich Lösungen finden können, indem man den Klägern Recht gab. In den Niederlanden hingegen wiederholt sich die Debatte um den schwarzen Peter beinahe wie eine Tradition, wie ein Zusatz zum alljährlich wiederkehrenden Nikolaustag. 
Doch auch hier gilt schlicht und ergreifend: Nein. Es gibt keine guten Gründe, die Namen derjenigen in die Höhe zu heben, als ob ihr Erbe ein gänzlich Glorreiches für das Land wäre. Mag sein, dass es dem vereinigten Königreich der Niederlande Reichtümer bescherte, doch hatten diese Reichtümer auch einen Preis – jenen der Zerstörung von Kulturen, der Ausbeutung von Zivilisationen. Wer dem gegenüberhalten möchte, dass das nur bewies, dass die Niederlande eben das stärkere Volk waren, welche sich den Völkern Südasiens behaupten konnte, wies entsprechend auf, wessen Geistes Kind dieser Jemand ist, wodurch kein weiterer Gesprächsbedarf besteht. Selten aber ist dies der Fall, wobei ich selbst auch nicht häufig mit anderen Menschen  über solche Themen ins Gespräch komme. 


Was also tun?

Man kann dieser Fragestellung nach Sprache und Integration auch aus einer anderen Perspektive begeben, die aber ebenfalls fast ausschließlich Linken zusagen dürfte, da sie eher dazu neigen werden, die nötigen Voraussetzungen anzuerkennen: Wenn immer mehr Menschen aus Ländern kommen, die aller Wahrscheinlichkeit nach in ihrer Geschichte die Doktrin einer Kolonialmacht erleben mussten – das träfe beispielsweise auf die meisten zentral- und westafrikanischen Länder zu, ebenso wie auf die im Nahen Osten –, dann sollte man sich vielleicht auch dieser heiteren Unordnung entbehren, welche womöglich noch auf diese selbe Zeit referiert, welche ihnen so viele Pein bescherte. Es hinterlässt kein gutes Bild als Gastgeber, wenn man an jeder Ecke indirekt einen Rauswurf anstrebt. Da sollte man sich wenigstens nicht genieren und die Sache direkt angehen, so wie es der allseits bekannte „Jim Crow South” in den Südstaaten der USA 50er-Jahren schaffte. 
Ansonsten sollte man sich aber fragen, ob man nicht mit der eigenen Kritik über eine mögliche Untergrabung und Abschaffung der volkseigenen Kultur ein wenig über das Ziel hinausschießt und sich nicht doch mehr Feinde als Freunde mit einer solchen Rhetorik schafft. Wie des Öfteren veranschaulicht wird ist auch die teütsche Kultur eine der Vielfältigkeit, welche durch eine Vielzahl an Einflüssen geboren wurde. Ansonsten gehören historische Kulturschätze, welche in der heutigen Zeit weitestgehend obsolet wurden oder einfach nicht länger kontemporär sind, weil auch der Rassismus nicht mehr so salonfähig ist, wie er es einstmals war. Ein Verlust ist es dennoch nicht. 
Wer sich indessen Sorgen macht um die eigene Kultur und wie sie vor einem in einem Scherbenmeer zugrunde geht, sollte sich ein Herz fassen und mit gutem Beispiel vorangehen, auf dass andere von einem lernen können. Denn wie heißt es so schön: Minderheiten fehlt mancherorts einfach so etwas wie ein Idol, wonach man sich richten kann. Warum nicht selbst dieses Idol werden? Es wäre eine Win-Win-Situation für alle. 

Und mit diesen Worten wünsche ich noch einen angenehmen Sonntag! 

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