Sind Minderheitsregierungen die Lösung?
In Spanien wählte man kürzlich neu, in Bolivien wird eine Neuwahl stattfinden, nachdem der autoritär regierende Herrscher Evo Morales seinen Rücktritt verkündete, in Thüringen weiß man noch nicht, wie man fortfahren soll. Und überall fragt man sich (oder sollte man sich fragen): Wäre vielleicht eine Minderheitsregierung die Lösung?
Zuvor brachte ich bereits einen ähnlichen Text, wobei dieser sich speziell und entsprechend ausschließlich mit der Landtagswahl in Thüringen befasste. Wer diesen Text lesen möchte, kann dies unter diesem Link tun.
In einer Demokratie stimmt man sich gemeinsam mit den wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern in bestimmten Intervallen auf einen Termin ab, ab welchem man eine neue Regierung wählen lässt oder die alte in ihrem Amt bestätigt, je nach dem, wie man denkt. In Israel dürfen sich die Menschen dafür einen Tag freinehmen, in Deutschland fällt der Wahltag in der Regel auf einen Sonntag. Hierzulande öffnen die Wahllokale um ca. 10 Uhr, bis 18 Uhr darf man seine Stimme abgeben. Wer schon im Voraus weiß, dass er oder sie es nicht einrichten können wird, oder einfach zu faul ist, sich auch noch sonntags eine Hose anziehen zu müssen, kann die Briefwahl beantragen, wodurch man bereits eine Woche zuvor seine Stimme abgeben kann. Manchen mag es auch lieber sein, weil sie dann die teils plakatgroßen Stimmzettel in aller Ruhe studieren können, oder zu suspekten Kandidaten Recherchen anstellen können, um eine noch fundiertere Wahl zu treffen. Aus ähnlichen Beweggründen setzt sich die FDP jedoch immer wieder auch für die Einführung von elektronischen Wahlen aus, bislang jedoch ohne Erfolg.
Wie dem aber auch sei, am Ende der Stimmauszählung stehen die Ergebnisse fest (nicht unbedingt die offiziellen, die dauern in der Regel noch ein wenig länger, der Wahlleiter geht gerne auf Nummer sicher), und die Wahlsieger – die Parteien mit den meisten Stimmen – sind dazu aufgerufen, zu sehen, mit wem sie am Ende koalieren können. Ziel dabei ist einerseits die Koalition, vor allem aber eine Koalition, die auch eine Mehrheit der Stimmen kumuliert. Da die Demokratie die Herrschaft des Volkes ist, ist es gemäß der vorhandenen Optionen nur richtig, auch die Mehrheit wenigstens regieren zu lassen, im besten Fall vielleicht sogar eine absolute Mehrheit (drei Viertel aller Stimmen, oder 75 Prozent).
Minderheitsregierungen, also Regierungen, die in ihrer Koalition keine Mehrheit hinter sich hätten, sollten dabei die Ausnahme bleiben, da sie nicht dem mehrheitlichen Wunsch des Volkes nachkämen, sondern dem minderheitlichen. Demokratien, da sie aber auf Kompromissen und Mehrheitsentscheidungen beruhen, sind auf die Mehrheit nämlich angewiesen, sodass eine Entscheidung hin zum Mindeheitsbeschluss ein Bruch in der Legitimitätsfrage bedeute, wobei hierbei zu unterscheiden wäre zwischen arbiträren Entschlüssen und zu notwendigen. Sprechen wir von den derzeitigen Wahlausgängen in Spanien und Thüringen, müsste man wohl oder übel von Minderheitsregierungen aus gutem Grunde ausgehen: In Thüringen hätte allenfalls eine schwarz-grüne, schwarz-lilafarbene oder grün-lilafarbene Landesregierung eine Mehrheit, dadurch die SPD in so tiefe Gestade fiel, dass sie allenfalls noch einer Dreierkoalition behilflich sein könnte. Diese drei Optionen wurden aufgeführt trotz der hohen Stimmzahl der AfD, da eine Koalition mit ihr von allen Seiten dezidiert ausgeschlossen wurde, auch nach einem Vorschlag Mike Mohrings (CDU), der zunächst „ergebnisoffen”mit der AfD-Führung in Thüringen (d. i. Björn Höcke) diskutieren wollte, von der Bundesparteiführung kritisiert wurde. Björn Höcke hatte wenig später sein d'Accord für eine schwarz-gelbe Regierung gegeben, was die CDU jedoch ablehnte, sie bräuchte seinen Segen nicht. Soniderungsgespräche zwischen den beiden Parteien gab es dennoch auch nicht, wobei ma hoffen mag, dass sie es dennoch nicht ausschlössen; irgendeine Regierung braucht es schließlich, immerhin muss man auch im Nachhinein immer im Verbund ein Erstarken der AfD verhindern.
... was schließlich dazu führt, dass man eine Minderheitsregierung in der Regel verhindern möchte. Der Bruch in der Legitimität, indem man die Mehrheit hinter sich lässt und der Minderheit ein Geschenk macht, weil man eine Partei insbesondere ausschließen möchte, führt zu noch mehr Unmut unter denjenigen, die bereits mit den Verantwortlichen der Minderheitsregierung unzufrieden sind, und es jetzt noch mehr werden. Dabei ist es völlig egal, wer sich am Ende zu einer Beteiligung an einer solchen Regierung hinreißen lassen, über sie wird sich der here Unmut regen. Warum? Weil es nach Willkür, Kompromisslosigkeit, Engstirnigkeit und Unfähigkeit zum gemeinsamen Regieren zeigt. Eben alles, was sich Wähler vor allem nicht wünschen. Minderheitsregierungen sind Notlösungen, eigentlich allein zur Überbrückung gedacht, bis man sich anderweitig arrangieren konnte. Sie dienen als Weg aus der Sackgasse heraus, wirken aber auf Dauer so seriös wie eine „Expertenregierung”, wie sie in Österreich in Stellung ist, obgleich es mittlerweile Lichter am Ende des dunklen Tunnels der Regierungsbildung sichtbar werden. Auch darum wurde sie zuvor nicht benannt, man (Grüne und ÖVP) begab sich bereits in Koalitionsverhandlungen, weswegen man insofern bereits weiter ist als beispielsweise in Spanien, wo man erst gestern wählte, und in Thüringen, wo man noch keinen Schritt weiter ist als am Tage, als das offizielle Wahlergebnis bekanntgegeben wurde und die FDP somit offiziell auf fünf Prozent Stimmenanteil kam.
Wenn wir aber Minderheitsregierungen als Notlösung und temporäre Lösung anerkennen, müsste dann nicht schnellstmöglich wiedergewählt werden, sodass die Minderheitsregierung nur kommissarisch das Ruder in die Hand nimmt, bis eine bessere Lösung angestrebt werden konnte? Theoretisch: Ja. Und in der Regel werden Minderheitsregierungen so sehr als ultima ratio anerkannt, dass man sie erst anstrebt, nachdem man nochmal eine Wahlwiederholdung vornahm. Sprich: Man lässt wählen, das ist der erste Schritt. Der zweite Schritt ist, miteinander zu sprechen, um zu sehen, ob man vielleicht auf den herkömmlichen Weg eine Regierung bilden kann. Schlägt das Fehl, folgt der dritte Schritt die Neuwahl, wobei ein erhebliches Risiko auf ein nahezu unverändertes Ergebnis besteht. Gerade dieses Risiko muss insbesondere in Betracht gezogen werden, da man sich am Ende am selben Ende wiederfinden kann wie zuvor, nur mit noch höherem Druck, weil die letzte Ausfahrt, die man noch nehmen kann, die der Minderheitsregierung ist. Niemand wird in diesen Zeiten in den sauren Apfel beißen und sagen, dass er oder sie mit der AfD sondieren wird. Dabei wäre insbesondere diese Option mindestens einmal sinnvoll, um vor aller Zuschauer Augen ein und für allemal zu beweisen, dass man nicht genügend gemeinsame Punkte hat, um gemeinsam zu koalieren. Es ist äußerst riskant für die bestehenden und etablierten Parteien, die AfD zu meiden wie der Teufel das Weihwasser, da man die AfD selbst damit um einiges bestärkt in ihrer selbsterwählten anti-Establishment-Haltung, auch wenn sie diese um Längen verfehlt. Wie ich auch bereits im am Anfang verlinkten Text meinerseits bereits geschrieben habe, wie aber auch beispielsweise hier und hier, hilft es nichts, die AfD immerzu anzuprangern, da man auf diese Weise nur Gräben errichtet, welche die Gesellschaft weiter zerteilen und den Gegensatz immerzu bestärken. Sagt man hierzu noch, dass alle Wähler dieser Partei Nazis seien und dies aus vollster Überzeugung, untergräbt man zudem noch die sozialen, parteilichen und persönlichen Folgen, die dazu führten, dass diese Menschen zu dem wurden, was sie nunmehr sind. Sprich: Man simplifiziert ein Problem und dessen Lösung, während man denjenigen, die es adressiert, selbiges vorwirft. Entgegen der landläufigen Meinung ist es nicht damit getan, eine Partei samt ihrer Anhänger durchgehend zu diffamieren, man erzeugt dadurch jederzeit eine reactio, nicht immer aber die erwartete; in diesem Fall vor allem die nicht erhoffte, weil man nicht versucht, mit Argumenten zu überzeugen, sondern mit Vorstellungen von der ultimativ richtigen Welt, überheblichem Verhalten, und einem geradezu dogmatischen Denken.
Ohne aber hierbei noch weiter vom eigentlichen Thema abzuschweifen, verweise ich auch für die weitere Ausführung auf meine bereits zuvor verlinkten Texte, in welchen ich diese Problematik bereits behandelt habe. Letztlich ist das Problem mannigfaltig geteilt, aber vor allem sind es die Idealvorstellungen von gesellschaftlichen Ordnungen, die nicht aufeinanderpassen wollen; diese Problematik mag es vor allem schon in der Vorzeit gegeben haben, doch wurde das Problem durch das Internet weiter aufgeheizt, sodass aus etwaigen Meinungsverschiedenheiten regelrechte Schlachten wurden, die man nicht mehr in irgendwelchen Remis verharren lassen kann, stattdessen hält man die bloße Gegenwart einer unverkennbar gegensätzlichen Position nicht mehr aus. Gegen solche Phänomene helfen auch keine Podiumsreden mehr, es ist ein Problem, welches irreparabel verhakt ist. Man könnte sagen, dass das Internet die pluralistische Gesellschaftsordnung zwar noch nicht beerdigt hat, es es aber auf eine herbe Probe stellt, welche die Spreu vom Weizen zu trennen vermag. Bedeutet in etwa: Es zeigt, wer mit der Gegenwart gegensätzlicher Meinungen leben kann, wer es nicht kann, und wer mit Mord und Totschlag auf sie reagiert. Letztere sind dergestalt ungeeignet für ein friedliches Miteinander, Entsprechend sind allein zwei Maßnahmen möglich, wobei erstere (1) ein frommer Wunsch ist, ähnlich der Gedenktagsreden eines jeden Bundespräsidenten; die Zweitere (2) ist dafür utopisch, jedoch in der Praxis weitaus wirksamer in der Prävention gegen letale Konflikte.
(1) Die erste wäre die einfache Ansage an alle Menschen insgesamt, dass sie, anstatt sich in die Haare zu kriegen, Konflikte meiden sollten, sofern sie entweder ohnehin nicht fähig sind, zu diskutieren, oder sie befürchten, dass eine Person schlecht auf eine gegensätzliche Meinung zu sprechen wäre. Eine Ansage, die eigentlich so alt ist wie die Diskurskultur selbst, wobei man hierbei sagen muss, dass die Gründe für zwischenmenschliche Konflikte in ihrer Essenz ebenfalls so primitiv wie die Menschheit selbst sind, und wir dennoch mit ihnen zu kämpfen haben, als ob es noch keinen vergleichbaren Präzedenzfall gegeben hätte. In diesem Fall muss es also kein Betrug sein, alten Wein in neue Schläuche zu füllen, vielmehr könnte man noch durchaus Recht haben.
Schaut man sich heutzutage so um, so sieht man viele Konflikte und viele Spannungen, die vermeidbar gewesen wären, wären sich die involvierten Individuen nur aus dem Weg gegangen. Insofern wirkt dieser Aufruf, so lapidar er auch erscheinen mag, überaus passend. Es soll natürlich niemandem vorgesetzt werden, künftig nicht mehr miteinander zu diskutieren – au contraire! Sie sollen mehr diskutieren, doch nicht um jeden Preis –, doch wenn man es nicht kann, muss man es entweder lernen, oder zumindest nicht denjenigen zur Last fallen, die es wollen, und auch können.
Dieser Vorstoß träfe vor allem die verruchte Internetkultur, beispielsweise auf Twitter und Facebook. Dort trifft man mit am häufigsten auf Menschen, mit denen man nicht unbedingt übereinkommt, vor allem trifft man dort aber am häufigsten auf die fast zum Cliché verkommenen Niveaulosigkeit. Der Begriff selbst mag selbst ein wenig kolloquial klingen, doch trifft er zu wie die Faust aufs Auge. Insbesondere auf Twitter ist man aufgrund der Zeichenbegrenzung auf knapp 280 Zeichen auf eine prägnante, lakonische Ausdrucksweise angewiesen, wobei man unbegrenzt viele Folgetweets anschließen kann, welche sich aber nur bedingt gut lesen können; die Lesbarkeit ist mäßig, wenn es um längere Texte geht, eignen sich hingegen gut, wenn es um aufeinanderfolgende, weitestgehend zusammenhangslose Informationsschnipsel geht. Debattieren lässt sich aber auf diese Weise nicht, wenn man Standpunkte nicht richtig elaborieren kann, oder das (beziehungsweise die) Gegenüber warten muss, bis der Autor seinen Standpunkt zu Ende vorgetragen hat. Kurzum: Es ist unpraktikabel. Über Facebook muss man gar nicht weiter nachdenken, dort ist die Masse an Partizipienten innerhalb eines Beitrags, wenn es wirklich hoch hergeht, so rapide und so unübersichtlich, dass Diskussionen nicht wirklich sind, auch wenn es oberflächlich anders aussehen mag. Doch auch die Subordination von Kommentaren zu Kommentaren kann nichts daran ändern, höchstens versammelt verschiedene einzelne Diskussionen auf einer Spielwiese. Dasselbe könnte man aber auch gleich auslagern, um das Chaos zu verhindern, welches unmittelbar entsteht, sobald man auf einer größeren Seite an einer Diskussion teilhat.
(2) Der zweite Punkt ist selbstverständlich und insofern bestreitbar utopisch, da es darum ginge, dass die Staaten, wie ich in schon vielen Texten hervorgehoben habe, aufgelöst werden müssten, um den Zwang der Bindung durch bureaukratische und gesetzliche aufzulösen, damit Menschen in Zukunft mehr Möglichkeiten haben, selbstbestimmt zu leben, vor allem aber auch selbst organisiert. Sind ihnen diese Möglichkeiten gegeben, können sie auch weiteren Abstand nehmen von Menschen, die ihnen schaden durch ihre Feindseligkeit gegenüber opponierenden Meinungen; es ist hierbei vollkommen irrelevant, ob man diese Feindseligkeit eher links oder rechts sieht, wir werden dieses Gespräch nicht führen. Schwarze Schafe gibt es überall, auf einer Seite vielleicht mehr als auf der anderen, es wäre aber dennoch falsch, diese Frage oberflächlich zu treffen, da klar ist, dass die Fragestellung weitaus komplexer ist als „Der/Die hat angefangen/ist schlimmer”.
Wie aber hängt es zusammen, wenn wir von Diskussionen und dem angeschlagenen Diskurs sprechen, eigentlich aber von Minderheitsregierungen sprachen? Ganz einfach: Menschen wählen die Parteien, die sie in den Regierungen wissen wollen, ihr Verhalten ist dabei relativ stumpf und einfältig: Ihre Meinung wird von den von ihnen konsumierten Medien beeinflusst, ansonsten vom gesellschaftlichen Diskurs, an welchem sie wahrscheinlich teilhaben. Die Medien selbst umfassen dabei keineswegs allein die Berichterstattung und Meinungsmache durch Journalisten und öffentliche Persönlichkeiten, welche eine dezidierte Meinung haben. Sie konsumieren sie, bilden sich ihre Meinung, tragen diese nach außen, und machen denselben Job wie die Persönlichkeiten im Netz, welche vielleicht einen Podcast unterhalten, mit welchem sie vielleicht sogar ein gewisses Auskommen verdienen. Im Netz selbst speien sie ihre Ansichten raus, treiben somit wilde Debatten an, und leisten somit ihren unwillkommenen Beitrag zur Polarisierung, welche sich, und hier ist der Clou, schließlich erheblich niederschlagen auf das Wahlergebnis, mit regionalen Unterschieden, wie man sich ebenfalls denken kann.
Wir stoßen bei dieser Schlussfolgerung wiederum auch auf ein Phänomen, welches sich vielerorts wohl noch nicht abgezeichnet haben mag, wobei ich auch bezüglich seiner Verifizierung nicht sicher bin, weswegen ich es hierbei zunächst nur als Theorie aufführen möchte, ohne Gewähr auf seine schlussendliche Richtigkeit. Es scheint, dass die Wahl einer Partei nicht unbedingt eine ideologische oder eine aus Überzeugung sein mag, sondern vielmehr eine Frage dessen, was man selbst an Medien und entsprechend an Informationen konsumiert, vielmehr noch, in welchem Schema sie sie konsumieren, also in welcher Couleur. Immerhin ist es keine Seltenheit, dass man bestimmte Nachrichtenseiten, -zeitungen und vielleicht auch -sender (Funk und Fernsehen gleichermaßen) präferiert, und sich bereits daraus eine gewisse Schlagseite im ideologischen Sinne ausmachen lässt. Entsprechend tendieren beispielsweise BILD- oder WELT-Leser, rechts zu denken, währenddessen SPIEGEL-, ZEIT- und taz-Leser eher links eingestellt sind. Eine recht oberflächliche Betrachtung, selbstredend, wobei man sich dahingehend auch die Frage stellen muss, was genau solche Zeitungen (rückblickend kann man die Betrachtung auch auf Internetseiten und dergleichen reflektieren, da auch diese nichts anderes machen als die Printredakteure, lediglich in Details unterscheiden sie sich noch) genau ausmacht, und weswegen sie darum ihre entsprechenden Zielgruppen so sehr ansprechen. In der Regel ist es aber jedermann bekannt, weswegen man sich nicht viele Gedanken darüber machen muss: Die BILD trumpft auf mit großen, prägnanten Titeln auf der Frontseite, kurzen Texten, vielem Bildmaterial, und obszöner Sprache und Berichterstattung. (Wobei angemerkt werden muss, dass die meisten Beschwerden in summa noch immer gegen Lokal- und Tageszeitungen ausgehen; es ist davon auszugehen, dass die BILD als eine Boulevardzeitung eingestuft wird. An anderer Stelle kann man sich auch zumindest versichern, dass die BILD viele, wenn nicht die meisten, Rügen erhält für seine Arbeit)
Der SPIEGEL und die ZEIT halten sich dabei zumeist zurück, arbeiten nicht mit reißerischen Stilmitteln, setzen auf Dezenz und journalistische Integrität, nur selten werden sie für ihre Arbeit gerügt. Die WELT müsste man, um sie nicht unerwähnt zu lassen, zwischen die beiden Fronten theoretisch platzieren, weil sie sich nicht ganz platzieren lässt, nicht zuletzt, weil die BILD durch ihre Reichweite bereits einen angestammten Platz im rechten Flügel der politischen Quadranten eingeheimst hat, obgleich, oder nicht gerade weil sie so reißerisch arbeitet, die Rügen also quasi herausfordert. Die WELT selbst ist ebenfalls nur sehr selten reißerisch, und wenn, dann doch nur in den Kolumnen, wobei sie unter ihren Kolumnisten teils namhafte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens versammelt, wie beispielsweise den Autor Henryk M. Broder, oder den Kolumnisten Rainer Meyer, welcher unter seinem Pseudonym „Don Alphonso” schreibt. Auch für Gastbeiträge sind sie bekannt, so haben beispielsweise die CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) oder der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki Beiträge für die Tageszeitung geschrieben. Doch auch Mitglieder der SPD wie der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels haben Beiträge für diese Zeitung geschrieben, weswegen man an sich vorsichtig sein sollte, wie stark man sie rechts einordnen würde.
Wie dem aber auch sei, womit befasst sich die Zeitung konkret? In der Regel geht es um deutsche Tagespolitik, wobei auch die Außenpolitik und die Vorgänge in anderen Ländern nicht ausgeschlossen werden. Dass man aber vor allem um inländische Themen in den Kommentaren und Kolumnen bemüht ist, zeigt, wo der primäre Faktor liegt. Die Berichterstattung selbst ist auch, wie in jeder ordentlichen Tageszeitung, weniger das Problem, in der Regel tippt man dabei nur ab, was eben geschehen ist, ohne irgendwelche Beeinflussung durch die Syntax oder das angewandte Vokabular vornehmen zu wollen. Die Themenauswahl ist im politischen Rahmen relativ eingeschränkt, da man selbst keine dirigierende Funktion einnimmt, sondern nur Protokollant ist, mehr oder weniger. Die BILD sticht dabei insofern heraus, als dass sie ihren Fokus auf Straftaten legt, Kommentare zu polarisierenden Themen wie der Asylpolitik, Zuwanderern und dem Wetter, Politik interessiert sie insofern nur so weit, wie die jeweiligen Themen auch für hitzige Debatten sorgen können. Die WELT hingegen umfasst die Gesamtheit der deutschen Tagespolitik, sodass sie eine gewöhnliche Stellung bei diesem Thema einnimmt; ihre Kommentare und Gastbeiträge hingegen lassen vermuten, dass ihr Klientel ein konservatives sein muss, auch Rechtspopulisten können sich dabei stellenweise bedienen, wobei man dasselbe theoretisch auch umkehren könnte für ihr etwaiges Konterpart vom anderen Ufer, der taz. Sie ist stark links einzuordnen, umfasst dabei deutsche, wie auch die Tagespolitik des Auslands, wobei hier Schlagzeilen aus den entsprechenden Ländern den Takt angeben. Auffällig ist dabei der Einfluss aus Frankreich: Einerseits veröffentlichen sie von Zeit zu Zeit Artikel aus der „Monde Diplomatique”, welche auch in Deutschland vertreten ist, andererseits schreiben sie des Öfteren auch über Nachrichten aus afrikanischen Ländern, welche einstmals durch Frankreich kolonialisiert wurden. Ansonsten kann man sich vorstellen, wie die taz tickt, auch wenn man sie selbst nie gelesen hat: Der Fokus liegt nebenbei bei kulturellen Themen wie Gerechtigkeit für Frauen und Transmenschen, linke Gegenkultur in Schauspiel und Musik, etc.
Lange Rede, wenig Sinn, man kann behaupten, dass sich am Konsumverhalten ablesen lässt, welche Meinungen jemand tendenziell vertritt, und daggegen ist auch absolut nichts einzuwenden. Es ist, was eine gesunde Gesellschaft ausmacht, woraus sie sich nährt. Es eindämmen zu wollen, bedeute, die pluralistische Gesellschaft zu gefährden. Problematisch wird es lediglich erst, wenn die Menschen ihre persönlichen Meinungen präparieren und anschließend unfähig werden, sie zu diskutieren, weil sie ihnen sakrosankt wird. Man wird unfähig, zu reflektieren, will aber auch nichts an sich heranlassen, sodass der Weg geschustert wird zur Diffamierung andersartiger Meinungen. Ein Beispiel, welches mir hierfür kürzlich auffiel, ist die Raute #OkBoomer auf Twitter, welches sich gegen die geburtenstarken Jahrgänge der 68er gerichtet ist, welchen man ein Versagen in der Klimapolitik vorwirft, obwohl man in dieser Zeit erst nach und nach wahrnahm, wie sich das emissionsstarke Verhalten auf den Planeten auswirkt und man dementsprechend das Aufkeimen linksgrüner Gegenbewegungen erfuhr, welches schließlich auch in die Begründung grüner Parteien in den Parlamenten mündete. Diese Diffamierung ist also nicht nur skurril in ihrer Haltlosigkeit (die Politik ist nur so weit dafür schuldbar zu machen, dass man nichts dagegen tat, als dass sie in ihrer parlamentarischen und demokratischen Form bekanntermaßen sehr, sehr schleppend vorankommt; ausschließlich in Diktaturen geht es wirklich schneller voran, oder eben in einer staatenlosen Gesellschaft. Andernfalls sie noch am Rande anzumerken, dass die Wende in der Energiegewinnung teils vom Naturschutz und teils von Bürgerinitiativen behindert wird, neben lahmen Genehmigungsverfahren), sondern auch noch schädlich für den Diskurs, weil auf diese Weise vorgefertigte Fronten weiter verhärtet werden. Zu sagen, dass diese Boomer irgendwann schon weg vom Fenster sein werden, hilft insofern auch nichts, als dass das kein Einzelfall ist, sondern ein Muster: „Wenn jemand die Fakten und Argumente verweigert oder nicht auf denselben entschlossenen Zug aufspringt, stellt er ein Problem dar, welches ich nicht weiter diskutieren werde.” – So oder so ähnlich lässt sich diese Art, zu denken, paraphrasieren. Es ist ein Muster, in welchem man denkt, oder besser gesagt: Stigmatisiert. Sowas schadet dem Diskurs, da durch die Äußerung eines Stigmas signalisiert, dass man nicht diskutieren wird, sofern man beispielsweise einer Generation angehört, die politisch wenig gegen den Klimawandel tat, trotz bereits vorangestellter Argumente, die dagegen sprächen. Wäre man gerecht, müsste man allen Generationen von den 1968ern bis zu den 2017ern (in etwa) mit derartiger Missgunst entgegentreten, weil sie alle nicht sonderlich viel gegen den Klimawandel taten. Diese jetzigen Jahrgänge, die den Klimawandel in die Mitte der Politik platzierten, sind bislang die einzigen, die es erzielen konnten, wobei die zunehmende Extremität der Schlechtwetterereignisse und Naturkatastrophen ebenfalls eine wichtige Rolle dabei spielte. Es war bislang schon immer so: Man wird eine Katastrophe nicht ernst nehmen, bis sie tatsächlich vor der Tür steht, eine fast schon menschliche Einstellung, ein wenig nicht-wahrhaben-Wollen von Tatsachen. Unter einfachen Bürgern, die sich als Klimaschützer verdingen oder bezeichnen, ist es insofern nur anders, als dass sie keine Entscheidungsträger sind und noch nicht die Konsequenzen ihrer Aussagen tragen mussten, weswegen es noch relativ leicht ist, schärfere Bedingungen zu fordern, welche darauf abzielen, dem Klimawandel das Handwerk zu legen. Doch abgerechnet wird immer am Ende.
Worauf läuft es aber am Ende hinaus? Und was hat es alles mit Minderheitsregierungen zu tun, sofern überhaupt? Ganz einfach: Dadurch wir es bei Regierungen immer mit einem Querschnitt der Gesellschaft zu tun haben – die Masse an Menschen, die nicht wählen gingen, obwohl sie durchaus konnten, interessieren sich wahrscheinlich ohnehin nicht für die Entscheidungen, die von der Regierung getroffen werden, obgleich es sie eminent betrifft –, können wir in der Not und den Rufen nach einer solch kritischen Regierungsbildung erkennen, wie gespalten die Gesellschaft ist, und weswegen es vielleicht am besten ist, solch hohe Gestirne über die Gesellschaft der Menschen walten zu lassen. Es kann nur noch schief gehen, weil diese Gesellschaft nicht mehr miteinander arbeiten möchte, auch wenn gelegentliche Momentaufnahmen aus bestimmten bereichen es anders vermuten lassen. Nur, weil viele Menschen im Tross miteinander über die Straße gehen, um dem zu widersprechen, heißt es noch nicht, dass sie einen akkuraten Querschnitt der Gesellschaft wiederspiegeln. Vielmehr sind es jene Menschen, die gut miteinander können, weil sie einer Meinung sind, doch können sie nur schlechterdings für die gesamte Gemeinschaft, wie sie jetzt noch besteht, sprechen. Es ist ausweglos, darüber zu sprechen, die Lager haben sich verfestigt und ihre Palisaden hochgezogen. Besser, man löst den Staat auf, und überlässt es den Menschen, sich in Kommunen zusammenzufinden, auf dass sie sich wie erwachsene Menschen in eigenen Gemeinschaften organisieren sollen. In der Regel ist es perspektivisch gesehen aussichtsreicher als ein Fortbestand der staatlichen Gesellschaft.
Ein kleiner Zusatz noch zum Ende: Manch einer würde mir wahrscheinlich noch anmerken, dass einerseits in Spanien die Aussicht auf eine Regierungskoalition aus „Partida Socialista Obrero Español” (PSOE) und „Unidas Podemos” zu einem gemeinsamen Entschluss kamen, und in Israel ebenfalls noch keine Regierung nach einer Wahl vor Monaten gefunden wurde. Beide Ereignisse sind mir nicht entgangen, doch kann mir Spanien kein Keil zwischen die Beine treiben (bitte nicht bildhaft vorstellen), vielmehr bestätigen sie meine vorangegangenen Annahmen – da sie (die Spanier) in der drängenden Bringschuld sind, den Staat durch ihre Aktivitäten und ihre Aktivität zu bestätigen, zu legitimieren. Stellt sich, wie in Belgien, heraus, dass ein Land auch ohne eine Regierung beweisen kann, wird von noch breiterer Front die Funktion und die Legitimität infrage gestellt, ohne irgendwelche radikalen Auswüchse, sondern mitten heraus. Wenn die einzige Sorge beispielsweise Haushaltspläne sind, die nachträglich den Markt und seine Planbarkeit beeinträchtigen oder simplifizieren können, kann man ihn auch gleich fallen lassen, so wäre auch diese Sorge aus der Welt geschafft.
Soll heißen: Ein Staat sollte sich durch mehr definieren als nur als Problembär, der manchmal nur nervt, und am besten schneller zu Potte kommen sollte. Gesetze soll er forcieren, das ist klar, dafür gibt es seine Behörden, die strafverfolgend agieren können, wenn Missetäter seine Regularien hintergehen. Auf diese Weise schützt er auch seine Bürger vor den Fängen des Marktes, wenn er einmal mehr übergriffig wird. Damit, und mit dem Schutz und der Förderung von Kunst und Kultur, hat der Staat vielerorts (letzteres ist nicht immer/überall gegeben) eine einzigartige Position inne, die außer ihm wohl auch niemand freiwillig einnähme, weil es Positionen sind, die keine Gewinne einbringen, sondern nur Kosten erstellen. Solche Positionen sind also Einbahnstraßen, welche auch praktisch Steuern legitimieren können. Gibt's keine Steuern, gibt's – neben dem Verlust vieler weiterer Annehmlichkeiten – auch keine Kulturförderung mehr. Was auf den ersten Anblick nach nichts Großem klingen mag, wird aber auf Dauer durchaus sichtbar, und man wünschte sich, dass man es sich doch ein wenig besser überlegt hätte.
Leider kann sich der Staat allein über solche Punkte nicht legitimieren, da er ansonsten weitaus mehr Macht trüge als er letztlich bräuchte. In dieser Form wäre ihm sogar als Nachtwächter zu viel Macht zugekommen, er könnte genauso gut als gemeinnütziger Dachverband fungieren und von Spenden leben, in der Hoffnung, dass das Interesse groß genug ist, um genügend Spender zu sammeln, welche bereit sind, für die Kulturförderung Geld springen zu lassen. Problematisch wäre hierbei lediglich de absehbare Ausgang des Bankrotts der Kultur, weil die Nachfrage in der Regel zu gering ausfällt, als dass sie den gesamten Betrieb am Leben erhalten könnte. Nicht umsonst fragen viele Kulturschaffende heutzutage neben Einkäufen ihrer Produkte (Bücher, kostenpflichtige Downloads, etc.) auch nach Spenden, eben aber ganz individuell, für sich, sodass die Endkunden, die Konsumenten, nach Bedarf konsumieren können, am Ende überlebt, wer am stärksten nachgefragt wird. Der Ausgang, sollte das am Ende die Regel werden, also bei einer Abschaffung des Staates, wäre eine heruntergebrochene Kulturschöpfung nach dem im Volksmund häufig verballhornend genannten Massengeschmack, also der Schöpfung von Produkten, die auch von einer solch großen Masse, die einen Umsatz bringen kann, der auch einen Gewinn generiert. Das Problem daran: Der Fortschritt würde maßgeblich behindert (wobei „Fortschritt” im Kulturbetrieb ein irreführender Ausdruck wäre, da man in der Kultur nicht nach Fortschritt sinnt, sondern eben nach Kultur, etwas Zeitlosem, einem Abbild des Zeitgeists (wobei auch das „Abbild des Zeitgeists” suggeriere, dass der Massengeschmack der Zenit des Kulturbetriebs wäre, also das Optimum dessen, was man dort erreichen kann)).
Das einmal nur als Beispiel, und ich entschuldige mich auch für den teils umgangssprachlichen Ausdruck im letzten Absatz. Wir sehen aber: Der Staat kann seine Haltung nur entweder als schützendes und förderndes Wesen behaupten, ist dabei auch auf die Gunst seiner Bürger angewiesen, welche von seinen Aktivitäten und seiner Aktivität zehren. Tut er also nicht genug, dann sind seine Schützlinge auf ihn sauer und wollen ihn insofern umformen, als dass er ihnen wieder passt. Das kann insoweit gereizt werden, dass er schließlich unter dem auf ihm lastenden Druck zusammenbricht. In diesem Zustand befinden wir uns, und allein der Staat trägt Schuld daran. Der Mensch als ständig redigierbares Wesen hat seinen Konsum genossen und sich daraufhin eine Meinung von ihm gebildet. Müssten wir den Konsum als schädliche Eigenschaft verantwortlich machen, müssten wir folgerichtig die Medien dafür schuldbar machen, dass sie diesen Konsum erst ermöglicht haben, weil sie die Nahrung boten. Kritisch gesehen könnten wir aber auch hinterfragen, wie es sein kann, dass ein solches System sich so leicht korrumpieren lassen konnte; warum hängt das Schicksal eines solch wichtigen Systems am Faden leicht verwirrbaren Materials, nämlich dem Menschen? Warum gab es kein Fangnetz, welches ihn vor seinem sicheren Zerfall bewahren konnte, keine Abschalteinrichtung, die im Notfall eintritt? Sollten wir von dieser Lösungsanstellung ausgehen, müssten wir feststellen, dass der Staat keine Lösung von Dauer darstellte, er war von Anfang an hinfällig, eine schadhafte Apparatur, bei der das Mindesthaltbarkeitsdatum wortwörtlich zu verstehen war. Insofern wäre es Zeit, das alte System zu entwerten und fortan auf ein sichereres und dauerhafteres zu setzen. Lasst es uns also wagen!
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Korrektur (16:17 Uhr): In einer vorherigen Fassung habe ich behauptet, dass Podemos und Ciudadanos in Spanien koalierten, was aber falsch war. PSOE und Podemos reagieren miteinander.
Minderheitsregierungen, also Regierungen, die in ihrer Koalition keine Mehrheit hinter sich hätten, sollten dabei die Ausnahme bleiben, da sie nicht dem mehrheitlichen Wunsch des Volkes nachkämen, sondern dem minderheitlichen. Demokratien, da sie aber auf Kompromissen und Mehrheitsentscheidungen beruhen, sind auf die Mehrheit nämlich angewiesen, sodass eine Entscheidung hin zum Mindeheitsbeschluss ein Bruch in der Legitimitätsfrage bedeute, wobei hierbei zu unterscheiden wäre zwischen arbiträren Entschlüssen und zu notwendigen. Sprechen wir von den derzeitigen Wahlausgängen in Spanien und Thüringen, müsste man wohl oder übel von Minderheitsregierungen aus gutem Grunde ausgehen: In Thüringen hätte allenfalls eine schwarz-grüne, schwarz-lilafarbene oder grün-lilafarbene Landesregierung eine Mehrheit, dadurch die SPD in so tiefe Gestade fiel, dass sie allenfalls noch einer Dreierkoalition behilflich sein könnte. Diese drei Optionen wurden aufgeführt trotz der hohen Stimmzahl der AfD, da eine Koalition mit ihr von allen Seiten dezidiert ausgeschlossen wurde, auch nach einem Vorschlag Mike Mohrings (CDU), der zunächst „ergebnisoffen”mit der AfD-Führung in Thüringen (d. i. Björn Höcke) diskutieren wollte, von der Bundesparteiführung kritisiert wurde. Björn Höcke hatte wenig später sein d'Accord für eine schwarz-gelbe Regierung gegeben, was die CDU jedoch ablehnte, sie bräuchte seinen Segen nicht. Soniderungsgespräche zwischen den beiden Parteien gab es dennoch auch nicht, wobei ma hoffen mag, dass sie es dennoch nicht ausschlössen; irgendeine Regierung braucht es schließlich, immerhin muss man auch im Nachhinein immer im Verbund ein Erstarken der AfD verhindern.
... was schließlich dazu führt, dass man eine Minderheitsregierung in der Regel verhindern möchte. Der Bruch in der Legitimität, indem man die Mehrheit hinter sich lässt und der Minderheit ein Geschenk macht, weil man eine Partei insbesondere ausschließen möchte, führt zu noch mehr Unmut unter denjenigen, die bereits mit den Verantwortlichen der Minderheitsregierung unzufrieden sind, und es jetzt noch mehr werden. Dabei ist es völlig egal, wer sich am Ende zu einer Beteiligung an einer solchen Regierung hinreißen lassen, über sie wird sich der here Unmut regen. Warum? Weil es nach Willkür, Kompromisslosigkeit, Engstirnigkeit und Unfähigkeit zum gemeinsamen Regieren zeigt. Eben alles, was sich Wähler vor allem nicht wünschen. Minderheitsregierungen sind Notlösungen, eigentlich allein zur Überbrückung gedacht, bis man sich anderweitig arrangieren konnte. Sie dienen als Weg aus der Sackgasse heraus, wirken aber auf Dauer so seriös wie eine „Expertenregierung”, wie sie in Österreich in Stellung ist, obgleich es mittlerweile Lichter am Ende des dunklen Tunnels der Regierungsbildung sichtbar werden. Auch darum wurde sie zuvor nicht benannt, man (Grüne und ÖVP) begab sich bereits in Koalitionsverhandlungen, weswegen man insofern bereits weiter ist als beispielsweise in Spanien, wo man erst gestern wählte, und in Thüringen, wo man noch keinen Schritt weiter ist als am Tage, als das offizielle Wahlergebnis bekanntgegeben wurde und die FDP somit offiziell auf fünf Prozent Stimmenanteil kam.
Wenn wir aber Minderheitsregierungen als Notlösung und temporäre Lösung anerkennen, müsste dann nicht schnellstmöglich wiedergewählt werden, sodass die Minderheitsregierung nur kommissarisch das Ruder in die Hand nimmt, bis eine bessere Lösung angestrebt werden konnte? Theoretisch: Ja. Und in der Regel werden Minderheitsregierungen so sehr als ultima ratio anerkannt, dass man sie erst anstrebt, nachdem man nochmal eine Wahlwiederholdung vornahm. Sprich: Man lässt wählen, das ist der erste Schritt. Der zweite Schritt ist, miteinander zu sprechen, um zu sehen, ob man vielleicht auf den herkömmlichen Weg eine Regierung bilden kann. Schlägt das Fehl, folgt der dritte Schritt die Neuwahl, wobei ein erhebliches Risiko auf ein nahezu unverändertes Ergebnis besteht. Gerade dieses Risiko muss insbesondere in Betracht gezogen werden, da man sich am Ende am selben Ende wiederfinden kann wie zuvor, nur mit noch höherem Druck, weil die letzte Ausfahrt, die man noch nehmen kann, die der Minderheitsregierung ist. Niemand wird in diesen Zeiten in den sauren Apfel beißen und sagen, dass er oder sie mit der AfD sondieren wird. Dabei wäre insbesondere diese Option mindestens einmal sinnvoll, um vor aller Zuschauer Augen ein und für allemal zu beweisen, dass man nicht genügend gemeinsame Punkte hat, um gemeinsam zu koalieren. Es ist äußerst riskant für die bestehenden und etablierten Parteien, die AfD zu meiden wie der Teufel das Weihwasser, da man die AfD selbst damit um einiges bestärkt in ihrer selbsterwählten anti-Establishment-Haltung, auch wenn sie diese um Längen verfehlt. Wie ich auch bereits im am Anfang verlinkten Text meinerseits bereits geschrieben habe, wie aber auch beispielsweise hier und hier, hilft es nichts, die AfD immerzu anzuprangern, da man auf diese Weise nur Gräben errichtet, welche die Gesellschaft weiter zerteilen und den Gegensatz immerzu bestärken. Sagt man hierzu noch, dass alle Wähler dieser Partei Nazis seien und dies aus vollster Überzeugung, untergräbt man zudem noch die sozialen, parteilichen und persönlichen Folgen, die dazu führten, dass diese Menschen zu dem wurden, was sie nunmehr sind. Sprich: Man simplifiziert ein Problem und dessen Lösung, während man denjenigen, die es adressiert, selbiges vorwirft. Entgegen der landläufigen Meinung ist es nicht damit getan, eine Partei samt ihrer Anhänger durchgehend zu diffamieren, man erzeugt dadurch jederzeit eine reactio, nicht immer aber die erwartete; in diesem Fall vor allem die nicht erhoffte, weil man nicht versucht, mit Argumenten zu überzeugen, sondern mit Vorstellungen von der ultimativ richtigen Welt, überheblichem Verhalten, und einem geradezu dogmatischen Denken.
Ohne aber hierbei noch weiter vom eigentlichen Thema abzuschweifen, verweise ich auch für die weitere Ausführung auf meine bereits zuvor verlinkten Texte, in welchen ich diese Problematik bereits behandelt habe. Letztlich ist das Problem mannigfaltig geteilt, aber vor allem sind es die Idealvorstellungen von gesellschaftlichen Ordnungen, die nicht aufeinanderpassen wollen; diese Problematik mag es vor allem schon in der Vorzeit gegeben haben, doch wurde das Problem durch das Internet weiter aufgeheizt, sodass aus etwaigen Meinungsverschiedenheiten regelrechte Schlachten wurden, die man nicht mehr in irgendwelchen Remis verharren lassen kann, stattdessen hält man die bloße Gegenwart einer unverkennbar gegensätzlichen Position nicht mehr aus. Gegen solche Phänomene helfen auch keine Podiumsreden mehr, es ist ein Problem, welches irreparabel verhakt ist. Man könnte sagen, dass das Internet die pluralistische Gesellschaftsordnung zwar noch nicht beerdigt hat, es es aber auf eine herbe Probe stellt, welche die Spreu vom Weizen zu trennen vermag. Bedeutet in etwa: Es zeigt, wer mit der Gegenwart gegensätzlicher Meinungen leben kann, wer es nicht kann, und wer mit Mord und Totschlag auf sie reagiert. Letztere sind dergestalt ungeeignet für ein friedliches Miteinander, Entsprechend sind allein zwei Maßnahmen möglich, wobei erstere (1) ein frommer Wunsch ist, ähnlich der Gedenktagsreden eines jeden Bundespräsidenten; die Zweitere (2) ist dafür utopisch, jedoch in der Praxis weitaus wirksamer in der Prävention gegen letale Konflikte.
(1) Die erste wäre die einfache Ansage an alle Menschen insgesamt, dass sie, anstatt sich in die Haare zu kriegen, Konflikte meiden sollten, sofern sie entweder ohnehin nicht fähig sind, zu diskutieren, oder sie befürchten, dass eine Person schlecht auf eine gegensätzliche Meinung zu sprechen wäre. Eine Ansage, die eigentlich so alt ist wie die Diskurskultur selbst, wobei man hierbei sagen muss, dass die Gründe für zwischenmenschliche Konflikte in ihrer Essenz ebenfalls so primitiv wie die Menschheit selbst sind, und wir dennoch mit ihnen zu kämpfen haben, als ob es noch keinen vergleichbaren Präzedenzfall gegeben hätte. In diesem Fall muss es also kein Betrug sein, alten Wein in neue Schläuche zu füllen, vielmehr könnte man noch durchaus Recht haben.
Schaut man sich heutzutage so um, so sieht man viele Konflikte und viele Spannungen, die vermeidbar gewesen wären, wären sich die involvierten Individuen nur aus dem Weg gegangen. Insofern wirkt dieser Aufruf, so lapidar er auch erscheinen mag, überaus passend. Es soll natürlich niemandem vorgesetzt werden, künftig nicht mehr miteinander zu diskutieren – au contraire! Sie sollen mehr diskutieren, doch nicht um jeden Preis –, doch wenn man es nicht kann, muss man es entweder lernen, oder zumindest nicht denjenigen zur Last fallen, die es wollen, und auch können.
Dieser Vorstoß träfe vor allem die verruchte Internetkultur, beispielsweise auf Twitter und Facebook. Dort trifft man mit am häufigsten auf Menschen, mit denen man nicht unbedingt übereinkommt, vor allem trifft man dort aber am häufigsten auf die fast zum Cliché verkommenen Niveaulosigkeit. Der Begriff selbst mag selbst ein wenig kolloquial klingen, doch trifft er zu wie die Faust aufs Auge. Insbesondere auf Twitter ist man aufgrund der Zeichenbegrenzung auf knapp 280 Zeichen auf eine prägnante, lakonische Ausdrucksweise angewiesen, wobei man unbegrenzt viele Folgetweets anschließen kann, welche sich aber nur bedingt gut lesen können; die Lesbarkeit ist mäßig, wenn es um längere Texte geht, eignen sich hingegen gut, wenn es um aufeinanderfolgende, weitestgehend zusammenhangslose Informationsschnipsel geht. Debattieren lässt sich aber auf diese Weise nicht, wenn man Standpunkte nicht richtig elaborieren kann, oder das (beziehungsweise die) Gegenüber warten muss, bis der Autor seinen Standpunkt zu Ende vorgetragen hat. Kurzum: Es ist unpraktikabel. Über Facebook muss man gar nicht weiter nachdenken, dort ist die Masse an Partizipienten innerhalb eines Beitrags, wenn es wirklich hoch hergeht, so rapide und so unübersichtlich, dass Diskussionen nicht wirklich sind, auch wenn es oberflächlich anders aussehen mag. Doch auch die Subordination von Kommentaren zu Kommentaren kann nichts daran ändern, höchstens versammelt verschiedene einzelne Diskussionen auf einer Spielwiese. Dasselbe könnte man aber auch gleich auslagern, um das Chaos zu verhindern, welches unmittelbar entsteht, sobald man auf einer größeren Seite an einer Diskussion teilhat.
(2) Der zweite Punkt ist selbstverständlich und insofern bestreitbar utopisch, da es darum ginge, dass die Staaten, wie ich in schon vielen Texten hervorgehoben habe, aufgelöst werden müssten, um den Zwang der Bindung durch bureaukratische und gesetzliche aufzulösen, damit Menschen in Zukunft mehr Möglichkeiten haben, selbstbestimmt zu leben, vor allem aber auch selbst organisiert. Sind ihnen diese Möglichkeiten gegeben, können sie auch weiteren Abstand nehmen von Menschen, die ihnen schaden durch ihre Feindseligkeit gegenüber opponierenden Meinungen; es ist hierbei vollkommen irrelevant, ob man diese Feindseligkeit eher links oder rechts sieht, wir werden dieses Gespräch nicht führen. Schwarze Schafe gibt es überall, auf einer Seite vielleicht mehr als auf der anderen, es wäre aber dennoch falsch, diese Frage oberflächlich zu treffen, da klar ist, dass die Fragestellung weitaus komplexer ist als „Der/Die hat angefangen/ist schlimmer”.
Wie aber hängt es zusammen, wenn wir von Diskussionen und dem angeschlagenen Diskurs sprechen, eigentlich aber von Minderheitsregierungen sprachen? Ganz einfach: Menschen wählen die Parteien, die sie in den Regierungen wissen wollen, ihr Verhalten ist dabei relativ stumpf und einfältig: Ihre Meinung wird von den von ihnen konsumierten Medien beeinflusst, ansonsten vom gesellschaftlichen Diskurs, an welchem sie wahrscheinlich teilhaben. Die Medien selbst umfassen dabei keineswegs allein die Berichterstattung und Meinungsmache durch Journalisten und öffentliche Persönlichkeiten, welche eine dezidierte Meinung haben. Sie konsumieren sie, bilden sich ihre Meinung, tragen diese nach außen, und machen denselben Job wie die Persönlichkeiten im Netz, welche vielleicht einen Podcast unterhalten, mit welchem sie vielleicht sogar ein gewisses Auskommen verdienen. Im Netz selbst speien sie ihre Ansichten raus, treiben somit wilde Debatten an, und leisten somit ihren unwillkommenen Beitrag zur Polarisierung, welche sich, und hier ist der Clou, schließlich erheblich niederschlagen auf das Wahlergebnis, mit regionalen Unterschieden, wie man sich ebenfalls denken kann.
(Image by mohamed Hassan from Pixabay) |
Der SPIEGEL und die ZEIT halten sich dabei zumeist zurück, arbeiten nicht mit reißerischen Stilmitteln, setzen auf Dezenz und journalistische Integrität, nur selten werden sie für ihre Arbeit gerügt. Die WELT müsste man, um sie nicht unerwähnt zu lassen, zwischen die beiden Fronten theoretisch platzieren, weil sie sich nicht ganz platzieren lässt, nicht zuletzt, weil die BILD durch ihre Reichweite bereits einen angestammten Platz im rechten Flügel der politischen Quadranten eingeheimst hat, obgleich, oder nicht gerade weil sie so reißerisch arbeitet, die Rügen also quasi herausfordert. Die WELT selbst ist ebenfalls nur sehr selten reißerisch, und wenn, dann doch nur in den Kolumnen, wobei sie unter ihren Kolumnisten teils namhafte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens versammelt, wie beispielsweise den Autor Henryk M. Broder, oder den Kolumnisten Rainer Meyer, welcher unter seinem Pseudonym „Don Alphonso” schreibt. Auch für Gastbeiträge sind sie bekannt, so haben beispielsweise die CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) oder der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki Beiträge für die Tageszeitung geschrieben. Doch auch Mitglieder der SPD wie der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels haben Beiträge für diese Zeitung geschrieben, weswegen man an sich vorsichtig sein sollte, wie stark man sie rechts einordnen würde.
Wie dem aber auch sei, womit befasst sich die Zeitung konkret? In der Regel geht es um deutsche Tagespolitik, wobei auch die Außenpolitik und die Vorgänge in anderen Ländern nicht ausgeschlossen werden. Dass man aber vor allem um inländische Themen in den Kommentaren und Kolumnen bemüht ist, zeigt, wo der primäre Faktor liegt. Die Berichterstattung selbst ist auch, wie in jeder ordentlichen Tageszeitung, weniger das Problem, in der Regel tippt man dabei nur ab, was eben geschehen ist, ohne irgendwelche Beeinflussung durch die Syntax oder das angewandte Vokabular vornehmen zu wollen. Die Themenauswahl ist im politischen Rahmen relativ eingeschränkt, da man selbst keine dirigierende Funktion einnimmt, sondern nur Protokollant ist, mehr oder weniger. Die BILD sticht dabei insofern heraus, als dass sie ihren Fokus auf Straftaten legt, Kommentare zu polarisierenden Themen wie der Asylpolitik, Zuwanderern und dem Wetter, Politik interessiert sie insofern nur so weit, wie die jeweiligen Themen auch für hitzige Debatten sorgen können. Die WELT hingegen umfasst die Gesamtheit der deutschen Tagespolitik, sodass sie eine gewöhnliche Stellung bei diesem Thema einnimmt; ihre Kommentare und Gastbeiträge hingegen lassen vermuten, dass ihr Klientel ein konservatives sein muss, auch Rechtspopulisten können sich dabei stellenweise bedienen, wobei man dasselbe theoretisch auch umkehren könnte für ihr etwaiges Konterpart vom anderen Ufer, der taz. Sie ist stark links einzuordnen, umfasst dabei deutsche, wie auch die Tagespolitik des Auslands, wobei hier Schlagzeilen aus den entsprechenden Ländern den Takt angeben. Auffällig ist dabei der Einfluss aus Frankreich: Einerseits veröffentlichen sie von Zeit zu Zeit Artikel aus der „Monde Diplomatique”, welche auch in Deutschland vertreten ist, andererseits schreiben sie des Öfteren auch über Nachrichten aus afrikanischen Ländern, welche einstmals durch Frankreich kolonialisiert wurden. Ansonsten kann man sich vorstellen, wie die taz tickt, auch wenn man sie selbst nie gelesen hat: Der Fokus liegt nebenbei bei kulturellen Themen wie Gerechtigkeit für Frauen und Transmenschen, linke Gegenkultur in Schauspiel und Musik, etc.
Lange Rede, wenig Sinn, man kann behaupten, dass sich am Konsumverhalten ablesen lässt, welche Meinungen jemand tendenziell vertritt, und daggegen ist auch absolut nichts einzuwenden. Es ist, was eine gesunde Gesellschaft ausmacht, woraus sie sich nährt. Es eindämmen zu wollen, bedeute, die pluralistische Gesellschaft zu gefährden. Problematisch wird es lediglich erst, wenn die Menschen ihre persönlichen Meinungen präparieren und anschließend unfähig werden, sie zu diskutieren, weil sie ihnen sakrosankt wird. Man wird unfähig, zu reflektieren, will aber auch nichts an sich heranlassen, sodass der Weg geschustert wird zur Diffamierung andersartiger Meinungen. Ein Beispiel, welches mir hierfür kürzlich auffiel, ist die Raute #OkBoomer auf Twitter, welches sich gegen die geburtenstarken Jahrgänge der 68er gerichtet ist, welchen man ein Versagen in der Klimapolitik vorwirft, obwohl man in dieser Zeit erst nach und nach wahrnahm, wie sich das emissionsstarke Verhalten auf den Planeten auswirkt und man dementsprechend das Aufkeimen linksgrüner Gegenbewegungen erfuhr, welches schließlich auch in die Begründung grüner Parteien in den Parlamenten mündete. Diese Diffamierung ist also nicht nur skurril in ihrer Haltlosigkeit (die Politik ist nur so weit dafür schuldbar zu machen, dass man nichts dagegen tat, als dass sie in ihrer parlamentarischen und demokratischen Form bekanntermaßen sehr, sehr schleppend vorankommt; ausschließlich in Diktaturen geht es wirklich schneller voran, oder eben in einer staatenlosen Gesellschaft. Andernfalls sie noch am Rande anzumerken, dass die Wende in der Energiegewinnung teils vom Naturschutz und teils von Bürgerinitiativen behindert wird, neben lahmen Genehmigungsverfahren), sondern auch noch schädlich für den Diskurs, weil auf diese Weise vorgefertigte Fronten weiter verhärtet werden. Zu sagen, dass diese Boomer irgendwann schon weg vom Fenster sein werden, hilft insofern auch nichts, als dass das kein Einzelfall ist, sondern ein Muster: „Wenn jemand die Fakten und Argumente verweigert oder nicht auf denselben entschlossenen Zug aufspringt, stellt er ein Problem dar, welches ich nicht weiter diskutieren werde.” – So oder so ähnlich lässt sich diese Art, zu denken, paraphrasieren. Es ist ein Muster, in welchem man denkt, oder besser gesagt: Stigmatisiert. Sowas schadet dem Diskurs, da durch die Äußerung eines Stigmas signalisiert, dass man nicht diskutieren wird, sofern man beispielsweise einer Generation angehört, die politisch wenig gegen den Klimawandel tat, trotz bereits vorangestellter Argumente, die dagegen sprächen. Wäre man gerecht, müsste man allen Generationen von den 1968ern bis zu den 2017ern (in etwa) mit derartiger Missgunst entgegentreten, weil sie alle nicht sonderlich viel gegen den Klimawandel taten. Diese jetzigen Jahrgänge, die den Klimawandel in die Mitte der Politik platzierten, sind bislang die einzigen, die es erzielen konnten, wobei die zunehmende Extremität der Schlechtwetterereignisse und Naturkatastrophen ebenfalls eine wichtige Rolle dabei spielte. Es war bislang schon immer so: Man wird eine Katastrophe nicht ernst nehmen, bis sie tatsächlich vor der Tür steht, eine fast schon menschliche Einstellung, ein wenig nicht-wahrhaben-Wollen von Tatsachen. Unter einfachen Bürgern, die sich als Klimaschützer verdingen oder bezeichnen, ist es insofern nur anders, als dass sie keine Entscheidungsträger sind und noch nicht die Konsequenzen ihrer Aussagen tragen mussten, weswegen es noch relativ leicht ist, schärfere Bedingungen zu fordern, welche darauf abzielen, dem Klimawandel das Handwerk zu legen. Doch abgerechnet wird immer am Ende.
Worauf läuft es aber am Ende hinaus? Und was hat es alles mit Minderheitsregierungen zu tun, sofern überhaupt? Ganz einfach: Dadurch wir es bei Regierungen immer mit einem Querschnitt der Gesellschaft zu tun haben – die Masse an Menschen, die nicht wählen gingen, obwohl sie durchaus konnten, interessieren sich wahrscheinlich ohnehin nicht für die Entscheidungen, die von der Regierung getroffen werden, obgleich es sie eminent betrifft –, können wir in der Not und den Rufen nach einer solch kritischen Regierungsbildung erkennen, wie gespalten die Gesellschaft ist, und weswegen es vielleicht am besten ist, solch hohe Gestirne über die Gesellschaft der Menschen walten zu lassen. Es kann nur noch schief gehen, weil diese Gesellschaft nicht mehr miteinander arbeiten möchte, auch wenn gelegentliche Momentaufnahmen aus bestimmten bereichen es anders vermuten lassen. Nur, weil viele Menschen im Tross miteinander über die Straße gehen, um dem zu widersprechen, heißt es noch nicht, dass sie einen akkuraten Querschnitt der Gesellschaft wiederspiegeln. Vielmehr sind es jene Menschen, die gut miteinander können, weil sie einer Meinung sind, doch können sie nur schlechterdings für die gesamte Gemeinschaft, wie sie jetzt noch besteht, sprechen. Es ist ausweglos, darüber zu sprechen, die Lager haben sich verfestigt und ihre Palisaden hochgezogen. Besser, man löst den Staat auf, und überlässt es den Menschen, sich in Kommunen zusammenzufinden, auf dass sie sich wie erwachsene Menschen in eigenen Gemeinschaften organisieren sollen. In der Regel ist es perspektivisch gesehen aussichtsreicher als ein Fortbestand der staatlichen Gesellschaft.
Ein kleiner Zusatz noch zum Ende: Manch einer würde mir wahrscheinlich noch anmerken, dass einerseits in Spanien die Aussicht auf eine Regierungskoalition aus „Partida Socialista Obrero Español” (PSOE) und „Unidas Podemos” zu einem gemeinsamen Entschluss kamen, und in Israel ebenfalls noch keine Regierung nach einer Wahl vor Monaten gefunden wurde. Beide Ereignisse sind mir nicht entgangen, doch kann mir Spanien kein Keil zwischen die Beine treiben (bitte nicht bildhaft vorstellen), vielmehr bestätigen sie meine vorangegangenen Annahmen – da sie (die Spanier) in der drängenden Bringschuld sind, den Staat durch ihre Aktivitäten und ihre Aktivität zu bestätigen, zu legitimieren. Stellt sich, wie in Belgien, heraus, dass ein Land auch ohne eine Regierung beweisen kann, wird von noch breiterer Front die Funktion und die Legitimität infrage gestellt, ohne irgendwelche radikalen Auswüchse, sondern mitten heraus. Wenn die einzige Sorge beispielsweise Haushaltspläne sind, die nachträglich den Markt und seine Planbarkeit beeinträchtigen oder simplifizieren können, kann man ihn auch gleich fallen lassen, so wäre auch diese Sorge aus der Welt geschafft.
Soll heißen: Ein Staat sollte sich durch mehr definieren als nur als Problembär, der manchmal nur nervt, und am besten schneller zu Potte kommen sollte. Gesetze soll er forcieren, das ist klar, dafür gibt es seine Behörden, die strafverfolgend agieren können, wenn Missetäter seine Regularien hintergehen. Auf diese Weise schützt er auch seine Bürger vor den Fängen des Marktes, wenn er einmal mehr übergriffig wird. Damit, und mit dem Schutz und der Förderung von Kunst und Kultur, hat der Staat vielerorts (letzteres ist nicht immer/überall gegeben) eine einzigartige Position inne, die außer ihm wohl auch niemand freiwillig einnähme, weil es Positionen sind, die keine Gewinne einbringen, sondern nur Kosten erstellen. Solche Positionen sind also Einbahnstraßen, welche auch praktisch Steuern legitimieren können. Gibt's keine Steuern, gibt's – neben dem Verlust vieler weiterer Annehmlichkeiten – auch keine Kulturförderung mehr. Was auf den ersten Anblick nach nichts Großem klingen mag, wird aber auf Dauer durchaus sichtbar, und man wünschte sich, dass man es sich doch ein wenig besser überlegt hätte.
Leider kann sich der Staat allein über solche Punkte nicht legitimieren, da er ansonsten weitaus mehr Macht trüge als er letztlich bräuchte. In dieser Form wäre ihm sogar als Nachtwächter zu viel Macht zugekommen, er könnte genauso gut als gemeinnütziger Dachverband fungieren und von Spenden leben, in der Hoffnung, dass das Interesse groß genug ist, um genügend Spender zu sammeln, welche bereit sind, für die Kulturförderung Geld springen zu lassen. Problematisch wäre hierbei lediglich de absehbare Ausgang des Bankrotts der Kultur, weil die Nachfrage in der Regel zu gering ausfällt, als dass sie den gesamten Betrieb am Leben erhalten könnte. Nicht umsonst fragen viele Kulturschaffende heutzutage neben Einkäufen ihrer Produkte (Bücher, kostenpflichtige Downloads, etc.) auch nach Spenden, eben aber ganz individuell, für sich, sodass die Endkunden, die Konsumenten, nach Bedarf konsumieren können, am Ende überlebt, wer am stärksten nachgefragt wird. Der Ausgang, sollte das am Ende die Regel werden, also bei einer Abschaffung des Staates, wäre eine heruntergebrochene Kulturschöpfung nach dem im Volksmund häufig verballhornend genannten Massengeschmack, also der Schöpfung von Produkten, die auch von einer solch großen Masse, die einen Umsatz bringen kann, der auch einen Gewinn generiert. Das Problem daran: Der Fortschritt würde maßgeblich behindert (wobei „Fortschritt” im Kulturbetrieb ein irreführender Ausdruck wäre, da man in der Kultur nicht nach Fortschritt sinnt, sondern eben nach Kultur, etwas Zeitlosem, einem Abbild des Zeitgeists (wobei auch das „Abbild des Zeitgeists” suggeriere, dass der Massengeschmack der Zenit des Kulturbetriebs wäre, also das Optimum dessen, was man dort erreichen kann)).
Das einmal nur als Beispiel, und ich entschuldige mich auch für den teils umgangssprachlichen Ausdruck im letzten Absatz. Wir sehen aber: Der Staat kann seine Haltung nur entweder als schützendes und förderndes Wesen behaupten, ist dabei auch auf die Gunst seiner Bürger angewiesen, welche von seinen Aktivitäten und seiner Aktivität zehren. Tut er also nicht genug, dann sind seine Schützlinge auf ihn sauer und wollen ihn insofern umformen, als dass er ihnen wieder passt. Das kann insoweit gereizt werden, dass er schließlich unter dem auf ihm lastenden Druck zusammenbricht. In diesem Zustand befinden wir uns, und allein der Staat trägt Schuld daran. Der Mensch als ständig redigierbares Wesen hat seinen Konsum genossen und sich daraufhin eine Meinung von ihm gebildet. Müssten wir den Konsum als schädliche Eigenschaft verantwortlich machen, müssten wir folgerichtig die Medien dafür schuldbar machen, dass sie diesen Konsum erst ermöglicht haben, weil sie die Nahrung boten. Kritisch gesehen könnten wir aber auch hinterfragen, wie es sein kann, dass ein solches System sich so leicht korrumpieren lassen konnte; warum hängt das Schicksal eines solch wichtigen Systems am Faden leicht verwirrbaren Materials, nämlich dem Menschen? Warum gab es kein Fangnetz, welches ihn vor seinem sicheren Zerfall bewahren konnte, keine Abschalteinrichtung, die im Notfall eintritt? Sollten wir von dieser Lösungsanstellung ausgehen, müssten wir feststellen, dass der Staat keine Lösung von Dauer darstellte, er war von Anfang an hinfällig, eine schadhafte Apparatur, bei der das Mindesthaltbarkeitsdatum wortwörtlich zu verstehen war. Insofern wäre es Zeit, das alte System zu entwerten und fortan auf ein sichereres und dauerhafteres zu setzen. Lasst es uns also wagen!
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Korrektur (16:17 Uhr): In einer vorherigen Fassung habe ich behauptet, dass Podemos und Ciudadanos in Spanien koalierten, was aber falsch war. PSOE und Podemos reagieren miteinander.
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