Ein Plädoyer gegen Hausbesetzungen
besetzt leere Häuser als fremde Länder.”
Der juristische Standpunkt zu Hausbesetzungen
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
Der zweite Satz diente schon vielen Linken im öffentlichen Diskurs mit Recht als Grund, den Zeigefinger in die Luft zu recken: „Ecce! Das Grundgesetz schreibt uns vor, dass Eigentum nicht allein dem Eigennutz dienen darf, sondern auch der Solidargemeinschaft dienen muss! Also können wir Wohnbauunternehmen wie Vonovia und Deutsche Wohnen dazu zwingen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen!”⁶ Solche Argumente haben Tragweite, die nicht selten über das Ziel hinausschießt, jedoch festen Untergrund genießt, wenn solche Gesetzestexte ins Spiel gebracht werden. Das Problem ist nur: Die Devise des Gemeinnutzes ragt nicht hoch droben über allen anderen Rechten. Solange wir nicht von einem staatlichen Unternehmen oder vielleicht einer gemeinnützigen Genossenschaft sprechen, von der es (letztere) durchaus einige gibt auf dem Wohnungsmarkt, wäre es unerhört, absolute Gemeinnützigkeit von einem Unternehmen einzufordern, d.i. die Abkehr von der Maxime der Profitmaximierung, hin zur reinen Kostenminimierung. Auf diese Weise ließe sich nicht wirtschaftlich auf dem Markt bei anhaltendem Wettbewerb fungieren, schnell müsste man erhobenen Hauptes die Insolvenz anmelden. Dann mag man vielleicht moralisch richtig gehandelt haben, da man niemals auf unlautere Praktiken zurückgreifen musste, hätte aber nicht einmal die halbe Zeit auf dem Markt überleben können, die man im Rahmen einer profitorientierten Arbeit überlebt hätte.
Manch einer würde darauf geradezu dogmatisch antworten, dass das der Kern des Problems sei: Dass das profitorientierte Geschäft auf lange Sicht auf moralische Ufer stoße, die es zu überwinden gelte, um in der Evolution hin in eine gerechtere, soziale Welt einzutreten. Vorausgesetzt, dass ihre überschlagene Prognose Recht wäre, wäre es dennoch weithin unmöglich, ohne einen global überspannenden Kompromiss in Hinblick auf eine Sozialisierung des freien Marktes praktisch unmöglich, dergestalt zu wirtschaften. Initialzündungen, unternähme man sie, könnten, unter Vorbehalt einer genügenden Sichtbarkeit, wahlweise national oder international, ein frommes Bild abgeben, von einem alternativen Geschäftsmodell, das beweisen möchte, dass eine bessere/andere Welt (oder Geschäftspraxis) möglich ist. Die Frage ist aber zunächst: Wie wirtschaftlich arbeitet man dort?; wie viel zahlt man den Angestellten?; wie lange werden sie überleben können mit ihrer sozialen Einstellung und Praxis? Durchaus gibt es solche Modelle, doch ihr Kontext ist, was sie von den großen, teils auch börsennotierten Unternehmen unterscheidet. Wir könnten beispielsweise auf die Handelskooperativen in afrikanischen und südamerikanischen Ländern verweisen, in welchen zumeist arme Bauern von Kakao und Kaffee Übereinkünfte mit ihren Abnehmern schaffen, um bessere Konditionen für sich selbst herauszuschlagen⁷. Genossenschaftliche Wohnungsbauunternehmen wären ein nähergelegenes Beispiel, aus Gründen, die auch bereits in einem ZEIT-Interview mit der damaligen Berliner Bausenatorin⁸ erwähnt wurden: Genossenschaften sind keine Miethaie, die die Mieten wucherhaft nach oben treiben und scheinheilige Gründe für horrende Nebenkosten in Rechnung stellen, um dadurch Millionengewinne zu erwirtschaften. Obgleich sie vielleicht nicht das Ziel von Maßnahmen wie Mietendeckeln oder Mietpreisbremsen darstellen, sind sie doch eminent betroffen und müssen herbe Einbußen in ihrem Regelbetrieb in Kauf nehmen, da sie von gesetzlichen Vorgaben nicht ausgeschlossen werden. Wie man dem Interview entnehmen kann, sind die Zahlen, über die Abrahams Genossenschaft spricht, nicht insignifikant, von ganzen Millionenbeträgen ist dabei die Rede. Ohnedies zeigte sich bereits trotz — oder gerade wegen — mangelnder Rechtssicherheit beim Mietendeckel, dass er einen kontraproduktiven Effekt erzielt, der konträr zur Intention des selben steht: Die Vermietung von Mietwohnungen in Berlin ging zurück⁹. Die mangelnde Rechtssicherheit bedeutet aber auch, dass bei neuen Angeboten über Mietwohnungen immer zwei Preise genannt werden müssen: Einerseits der gewöhnliche, marktübliche Preis, und andererseits der gedämpfte Preis, welcher angeboten wird, sobald der Mietendeckel amtlich in Kraft treten kann. Wie lange es bis dahin dauert, vermag niemand zu sagen: Das Landgericht Berlin erachtete den Mietendeckel zuletzt als verfassungsmäß¹⁰, bisweilen beschäftigt sich aber noch das Bundesverfassungsgericht mit dem Fall, soll also das ultimative Urteil darüber sprechen.
Eine linksalternative Wohngemeinschaft irgendwo in Lateinamerika. (Bild von Johannes Wünsch auf Pixabay) |
Zurück aber zum Thema der Hausbesetzungen. Als Einbruch sind sie einzustufen, das haben wir bereits festgestellt, doch wie sieht die rechtliche Lage bei der Nutzung von Mietwohnungen aus, beziehungsweise bei Eigentumswohnungen? Darüber äußert sich die Rechtssprechung nicht. In der Regel drehen sich Sprüche nur um die Verletzung des gemeinsamen Mietvertrags und wie sich dabei beispielsweise ein Vermieter verhalten darf, insbesondere im Rahmen des Kündigungsrechts. Bekannt ist dabei vor allem auch die häufig mit Skepsis erachtete „Eigenbedarfskündigung”, wie sie im § 573 Abs. 2 Satz 2 BGB verankert ist. Nicht selten wurden unter Vorwand dieses Satzes Mieterinnen und Mietern kurzerhand gekündigt, sodass sie letztlich ohne Wohnung da standen. Ein Nachweis für diesen Eigenbedarf muss dabei nicht erbracht werden, immerhin ist die Wohnung noch immer Eigentum des Vermieters, wodurch es ihm offen steht, Mieterinnen oder Mietern zu kündigen, wenn er schleunigst eine Wohnung für die eigene Familie braucht. Chancen, solche Kündigungen aufgrund von Eigenbedarf anzurechten, besteht lediglich in besonderen Härtefällen, wie bereits einmal vom von der VIII Zivilrechtskammer entschieden wurde (Urt. v. 11.12.2019, Az. VIII ZR 144/19). Weitere Urteile wurden ebenfalls gefällt, die beispielsweise Beleidigungen und Straftaten als Kündigungsgründe rechtfertigten, wobei es hierbei immer wieder nur um Präzedenzfälle geht, die jedoch kein Muster erkennen lassen, dass Hinterlist oder ähnliches vermuten ließen, sondern ernsthafte Fälle, die entsprechende Gründe vermuten ließen, und nicht etwa bloß die Akkumulation von Profiten ohne Rücksicht auf die Mieter. Ohnehin ist die direkte Kündigung zu kompliziert, da rechtlich abgesichert zum Vorteil der Mieterinnen und Mieter, um sie vor Willkür zu schützen. Einfacher ist es dagegen, die Miete hinterrücks unbezahlbar zu machen, wie man es vor allem von Großkonzernen wie Vonovia kennt¹¹. Gesetzliche Vorgaben, die Modernisierungsmaßnahmen rechtlich regeln sollen, finden sich in den §§ 555a bis 555f BGB und lassen den Vermietern einigen Handlungsspielraum, welcher infolgedessen dazu führt, dass auch scheinbar sinnlose Maßnahmen durchgeführt werden dürfen, deren hintergründige Absicht allein darin besteht, unliebsame oder ganz allgemein Mieter zum Auszug zu zwingen, wie auch im Artikel des Deutschlandfunk bereits beschrieben. Bereits im § 555d Abs. 1 BGB lässt sich lesen, dass ein Mieter Modernisierungen zu dulden hätte. Ohne Nachsatz. Impliziert wird dadurch eine regelrechte Handlungsunfähigkeit im Modernisierungsfall, im Gegensatz muss ein Vermieter solche Maßnahmen auch nicht mit den Mieter besprechen. Auch Kommentare auf diesen Paragraphen geben wenig Hoffnung darauf, dass die Methodik solcher Konzerne juristisch fragwürdig sein könnte, wodurch man sie vor Gericht hätte anfechten können¹². Unter solchen Umständen lässt sich durchaus nachvollziehen, dass Menschen hierbei eine impertinente Frechheit erkennen wollen, der es unverzüglich nachzukommen gilt, um ihr den Gar auszumachen.
Der Rechtsstaat scheint dabei keine große Hilfe zu sein, wodurch es dabei zu beachten gilt, dass er entsprechend zu hinterfragen sei. Niemand wollte ihm dabei unterstellen, sich auf Seiten des organisierten Verbrechens zu stellen, jedoch vielmehr, dass es seinerseits Nachholbedarf gibt, amoralischen Geschäftsmethoden einen Riegel vorzuschieben, um Mieter auch weiterhin vor neuerlichen Praktiken zu schützen. Ähnlich wie in der Medizin können Juristen bei fortgeschrittenen Praktiken nicht tatenlos zuschauen und die obsoleten Gesetzesvorgaben anwenden, gegen welche die Verbrecher neuerdings immun sind, da sie Antikörper entwickelten. Es gilt die neuen Praktiken zu examinieren und Schlupflöcher darin zu stopfen, vielmehr Illegales als solches zu erfassen und unter Strafe zu stellen.
Bevor wir in den zweiten Punkt übergehen, die Frage nach Hausbesetzungen aus einer soziopolitischen Sichtweise (so zumindest möchte ich es nennen, auch wenn ich weder Soziologie, noch Politikwissenschaften studiert habe, aber im Internet äußert sich ohnehin jeder ohne notwendige Sachkenntnis), sollten wir noch einmal auf die Frage nach dem Eigentum zu sprechen kommen, und inwieweit Privateigentum dem Gemeinwohl dienlich sein muss. Wie üblich bei Gesetzestexten ist die Formulierung breit gefasst, um auch ein entsprechend breites Milieu auf einmal abdecken zu können. Theoretisch wäre uns — insbesondere im kommenden Absatz — die Möglichkeit geboten, uns einmal substantiell, mitunter sogar philosophisch, mit der Frage nach dem Eigentum auseinanderzusetzen: Gibt es sowas wie Eigentum überhaupt?, können wir auf das Konzept des Eigentums verzichten?, ist es unter bestimmten Umständen legitim, jemanden, beispielsweise einen Vermieter oder einen Großindustriellen? Bis auf die letzte Frage werden wir auf keine dieser Fragen eingehen, da es den Rahmen sprenge und über das Ziel hinausschösse, sodass es uns nur noch schwerlich möglich wäre, die Grundfrage zu beantworten. Die letzte Frage werden wir entsprechend im zweiten Abschnitt beantworten, beziehungsweise behandeln.
Geht es um die Frage, inwiefern der Schutz des Eigentums geschützt ist in der Verfassung, haben wir bereits oben einen Verweis aufgebracht, inklusive der Frage, inwieweit die Verletzung des Eigentumsrechts geahndet wird. Doch eine Frage verblieb, im Bezug auf die Klausel nach der Verpflichtung zum Gemeinwohl: Wie soll sich dieser geradezu tagträumerische Ausruf materialisieren lassen? Um diese Frage zu beantworten, kommen wir nicht umhin, doch ein wenig philosophisch zu werden — ohne einen konkreten Begriff des Eigentums können wir auch nicht sagen, wie selbiges zum Wohle der Gemeinschaft genutzt werden kann. Anstatt nun aber Pierre-Joseph Proudhon zu zitieren, greifen wir einmal auf Frédéric Bastiat zurück, einem französischen Ökonomen des frühen 19. Jahrhunderts. Über das Eigentum schrieb er:
« Selon moi, la société, les personnes et les propriétés existent antérieurement aux lois, et, pour me renfermer dans un sujet spécial, je dirai: Ce n'est pas parce qu'il y a des lois qu'il y a des propriétés, mais prace qu'il y a des propriétés qu'il y a des lois. »¹³Sein Ansatz ist also recht eindeutig und assimiliert sich auch ohne Weiteres in das gesellschaftliche Handeln ein. Die Aussage, dass das Eigentum bereits vor dem Gesetz existierte, bedeute für uns im Gegenzug auch, dass es natürlich entstanden sein muss, ohne einen Corpus politici, der solche Konzepte per Dekret erlassen und manifestieren kann. Es musste also aus den Interessen des Menschen kommen, selbst Dinge zu besitzen, um dadurch Gründe für die Menschen zu schaffen, innovativ zu werden, Ideen hervorzubringen, die die Gesellschaft am Ende als Gesamte voranzubringen. Schenke man dieser Definition seinen Glauben, wäre es in Konsequenz absurd, sich gegen das Recht auf Eigentumsbesitz einzusetzen, ganz abgesehen von der Frage nach Verteilungsgerechtigkeit und der Möglichkeit, überhaupt stattliches Eigentum zu akquirieren. Das sind wieder gänzlich unabhängige Fragestellungen, die wir hierbei nicht behandeln werden.
Natürlich war das bereits eine Vorausschau auf den vorangehenden Absatz, doch ist es nicht unsinnig, ihn vorwegzunehmen, da man ihn später voraussetzen kann, sich also die Auseinandersetzung mit ihn spart, und wir ihn ohnehin bereits jetzt brauchen, um zu verstehen, was konkret geschützt werden soll vor Widersachern und Tunichtguten. Gleichzeitig müssen wir uns aber auch fragen, ob solch starre Zitate wie das Bastiats heutzutage, in unserer komplexen Welt, noch Gehalt haben können, wahlweise als Ganzes oder zumindest noch partiell. Es ist dabei nur natürlich, dass wir hierbei weniger bis gar nicht auf Gerichtsurteile zurückgreifen können, wie wir es zuvor taten, sondern uns mehr mit journalistischen Analysen und Kommentaren begnügen müssen; die Materie selbst bedingt es; zum Wohle oder Übel unsererseits — das muss jeder für sich selbst entscheiden.
Nachdem wir uns also mehr oder weniger darauf geeinigt haben, dass das Eigentum bereits vor der Begründung des ersten geordneten Staates (auch eine Monarchie genießt ihre Ordnung, wenngleich sie doch auf der Ungerechtigkeit einer natürlichen, gottgegebenen Ordnung beruht) existierte, sollten wir uns nunmehr der Frage zuwenden, inwiefern es dem Gemeinwohl dienen kann. Viele würden auf diese Frage antworten, dass die bloße Existenz von Privateigentum bereits dem Gemeinwohl dient, da die Menschen durch es ein Ziel vor Augen hätten, wonach es sich zu streben lohne (das Streben selbst ist dabei eines der Grundvokabeln, welches in solchen Argumenten gebraucht wird; teilweise deutet es aber auch auf die Obsoleszenz der Argumente selbst hin, nachdem sie seit der Tage John Lockes und John Stuart Mills nicht mehr aktualisiert wurden, wenigstens im Wortlaut. Es entspricht einfach nicht dem modernen Sprachduktus) — gäbe es das Eigentum nicht, gäbe es entsprechend keine materiellen Entlohnungen, wodurch Menschen pro forma dazu gezwungen wären, des gesellschaftlichen Fortschritts und der sozialen Anerkennung, beziehungsweise des sozialen Prestige wegen ihre Arbeit zu entrichten, für die sie in einer Welt mit anerkanntem privaten Eigentum finanzielle Preise hätten erlangen können. Ohnehin wäre die Frage, inwieweit das Eigentum auch unsere sozialen Strukturen prädestinierte. Sucht man nach Argument für das Für und Wider des Verständnisses des Privateigentums als das Zentrum unserer Gesellschaft, stößt man auf teils pathetische Äußerungen. So behauptete einstmals Butler Shaffer, dass
“Property—and how it is owned and controlled—is the most basic and definitive feature of any social system. It provides the only means by which one is able to act in the world. Our behavior must take place within some space, with action directed upon some ‛thing’ or intangible interest that can be controlled in furtherance of some purpose of the actor.”¹⁴
Abermals haben wir es also mit einer weitreichenden Ansicht auf das Eigentum zu tun: Dass das private Eigentum nicht nur unsere Gesellschaft maßgeblich beeinflusste und mitgestaltete, sondern dass es uns auch dazu befähigt, in dieser Welt zu handeln. Entsprechend müsste jemand ohne eigenes Eigentum als leblose Requisite innerhalb unserer Gesellschaft erachtet werden. Oder etwa nicht? Natürlich ist dem nicht so, da auch diejenigen ohne Eigentum jederzeit dazu befähigt wären, sich welches anzueignen, eben im Rahmen des gesetzlich ausgeschriebenen Raumes, d.i. sofern jemand auch die dafür notwendigen Mittel besitzt, um sich Eigentum anzueignen. Besitzt jemand kein Geld, dann wird es ihm schwierig sein, Eigentum von Wert zu erhalten. Es geht aber weniger um die einzelnen Individuen, die entweder kein Eigentum akquirieren können oder um die strukturelle Armut, die in einigen Ländern, arm und reich, grassiert, sondern um das System, welches entweder die Akquisition von Eigentum verhindert oder ermöglicht. Ob anderweitige Faktoren das eine oder andere dabei behindern oder sogar erleichtern, ist dabei von ausgeschlossen, da es damit nichts zu tun hat. Sprechen wir von struktureller Armut oder Diskriminierung — Letzteres beträfe insbesondere die Miete oder den Kauf von Eigentumswohnungen; gelegentlich könnte es auch den Kauf von Eigenheimen betreffen, sofern wir von Fertighäusern reden, wobei es hierbei selten bis gar nie auftritt —, so sprechen wir von Angelegenheiten, die nicht länger die Grundsystematik betreffen, sondern vielmehr die Institutionen, die in die Grundsystematik eingebunden sind, um sie zu ermöglichen. Wir sprechen dann von den permanenten Institutionen, die da sind, ganz gleich, welche Systematik wir durchsetzen wollen, weswegen wir auch nicht sie ankreiden können, wenn Menschen zu leiden haben, leiden müssen. Wenn jemand einen ca. 12 Jahre alten PC nutzt und darauf ein brandneues Betriebssystem installiert, weswegen es infolgedessen langsamer läuft, würde der Nutzer nicht die Software beschuldigen, sondern den antiquierten PC, welcher sich bereits jenseits der eigenen Blüte befindet und während seines Lebensabends allmählich dem Ende entgegenschreitet. Genauso verhält es sich auch mit der Unterscheidung zwischen Systematik und Institutionen: Nicht immer ist es die Systematik — Kritik am Kapitalismus ist derzeit en vogue, um meine Aussage einmal etwas zu spezifizieren —, die Schuld ist am Leid der Menschen, als mehr die Institutionen wie Polizei, das Gewebe aus Behörden und Ämtern, oder vorurteilsbehaftete Entscheidungsträger wie beispielsweise Richter oder parlamentarische Abgeordnete. Solche Menschen kann es in sozialistischen wie auch in kapitalistischen Gesellschaften geben, doch wie viel Macht sie innehaben und wie viel sie ausüben können entsprechend ihrer Macht, hängt von den Institutionen ab.
Wohin steuert das also alles? Nun griffen wir bereits reichlich über und behandelten in Teilen bereits soziopolitische Fragen, skizzierten aber noch keine moralischen Standpunkte. Vertiefen wollen wir es auch noch nicht. Eines können wir aber feststellen: Gemessen am Eigentum, worüber wir sprechen, d.i. der materielle Wert des Eigentums, kann Wohlstand für das besitzende Individuum schaffen, es kann es in seinem sozialen Prestige erheben und seien Reputation bessern. Um genauer zu sein: Besitzen Menschen Eigentum, haben sie gegebenenfalls mehr Selbstvertrauen und erschienen insgesamt gesünder, sind es mitunter auch, vor allem aber genießen sie mehr Freiheit, da sie unabhängiger sind von anderen. Erstere These würden wahrscheinlich aber nur wenige (vorbehaltlos) unterstützen, da es dafür auch durchaus nur wenige Gründe gibt. Geht es um die Gesundheit und explizit um die Gesundheit von Menschen, so gibt es nur wenig Studien zur Frage, inwieweit auch der Besitz von Eigentum oder, breiter gefasst, eine Gesellschaft mitsamt freien Markt Zustände wie eine prosperierende Gesundheit beeinflussen kann. Weiter wollen wir auch nicht darüber sprechen, lediglich auf einige Eckpunkte wollen wir uns verständigen: Dass, wer Privateigentum — wir spezifizieren „Privateigentum” hierbei vor allem mit einer Miet- oder Eigentumswohnung, erheben es also zu einem Caput der Freiheit und Unabhängigkeit, vielmehr auch Sicherheit —, statistisch gesehen gesünder ist, unter der Voraussetzung, dass, wer diese Capita besitzt, auch über die nötigen Mittel verfügt, sie zu halten. Warum setzen wir das voraus? Weil diese einem von Stress lesen können, der mit der Abhängigkeit und Unfreiheit des Mangels dieser Dinge verbunden ist. Wer beispielsweise keinen festen Wohnsitz hat, ringt in der Regel mit jedem neuen Tag mit der Frage nach dem nächsten Schlafplatz, und im Winter kommt obendrein die Frage nach einem warmen Schlafplatz auf, da es sodann auch im Winter letal kalt in U-Bahn-Stationen werden kann. Obzwar es auch Aufnahmestationen für Obdachlose gibt, arbeiten sie doch meist ehrenamtlich, sind angewiesen auf Spenden und kommunale Subventionen. Es mag nicht auf jeden zutreffen, der in Obdachlosigkeit lebt, da es auch einige gibt, die sich diesen Lebensweg freiwillig aussuchten, doch trifft dies kaum auf die Mehrheit der Obdachlosen zu¹⁵.
Das Gemeinwohl, akzeleriert durch das Privateigentum, müssen wir also als Selbstläufer verstehen, gehen wir von unseren Erkenntnissen aus, wobei das Gemeinwohl, ungleich der oberflächlichen Wortbedeutung, vielmehr vom Individuum selbst ausginge. Besitzt jemand eine Wohnung, ein Haus oder einen Neuwagen, so geht davon zunächst kein Vorteil für des Besitzers Nächste aus (Nachbarn könnten sich beispielsweise vom Lärm des startenden Pontiacs oder Mustangs des Besitzers gestört fühlen, wenn er sie sonntagmorgens um acht Uhr in der früh aus den Schlaf reißt), erst um einige Ecken gedacht könnte sich uns ein Sinn dabei herauskristallisieren: Wohlstand kann Menschen gesünder machen¹⁶, und gesündere Menschen kreieren weniger Umkosten für die Sozialgemeinschaft, sodass in Konsequenz weniger Skepsis an der raison d'être der Solidargemeinschaft entstehen wird. (Zugegebenermaßen ist mindestens der letzte Grund ein wenig weit hergeholt, wobei er sich dennoch logisch erschließt. Wenn Menschen insgesamt gesünder leben, kosten sie die Krankenkassen weniger, die sich wahlweise durch Steuern oder Privatkunden finanzieren, entsprechend könnten auch Beiträge für die Kunden sinken, wodurch jeder Mensch im Schnitt mehr Geld für sich einbehielte. Warum also sollte es nicht Ziel eines jeden Staates sein, die Menschen zu bereichern? Ein erster Schritt könnte sein, mehr Inzentiven für die Bürger zu schaffen, mehr Eigentum zu akquirieren, wobei dafür auch die nötige soziale Grundlage geschaffen werden, ein solches Aufwärtsrennen zu initiieren. Solange es noch Menschen gibt, die vielmehr um ihr nacktes Überleben kämpfen müssen als ihr Gutes Leben zu priorisieren (d.i. priorisieren zu können), ist die Devise von der Aneignung neuen Eigentums nicht nur dekadent (für manche vielleicht sogar fehlgeleitet, angesichts der Frage des Klimaschutzes, wobei auch immer die Frage ist, von welcher Art Eigentum wir sprechen — eine Miet- oder Eigentumswohnung wird auch für viele trotz des Klimaschutzes ein wichtiges Anliegen sein, welches sich auch klimafreundlich bewerkstelligen ließe, solange sich die Mehrkosten im Rahmen halten), sondern auch realitätsfremd und nicht entlang der eigentlichen Probleme orientiert. Man kann also sagen, dass eine Mischung aus sozialdemokratischen Engagement und rechtsliberalem Denken das erwogene Ziel erreichen kann. Radikalere Ideen wie etwa der globaler Staatsauflösungen können dabei eine permanente Lösung erzeugen, die mit einer Mischung aus früherer SPD und FDP, wenn wir es lapidar ausdrücken wollten, nicht gewonnen werden könnte, da sie lediglich eine Reparaturmaßnahme darstellt, die eventuell überholt sein könnte. Die zuerst genannte Option gleiche lediglich einer Instandhaltungsmaßnahme an einer überholten Maschinerie, die nur noch läuft, weil ein Totalschaden bislang vermieden werden konnte. Alle Beteiligten um ihr herum wissen jedoch, dass das Ende naht und man gut daran täte, sich darauf vorzubereiten, um am Ende nicht der oder die Gelackmeierte zu sein. Obacht! Wir sprechen hier jedoch von einem evolutionären Ausmaß, wo selten davon die Rede sein kann, dass etwas von Jetzt auf Gleich geschehen wird. Die Agonie der Maschinerie zieht sich hierbei über geschätzte Jahrhunderte, wir könnten die erste Erkenntnis dieser Art auf die Veröffentlichung der ersten protosozialistischen Schriften datieren, wenn wir ein solches Unterfangen unternehmen wollten, woraufhin uns bekanntlich konservative Intellektuelle opponierten, die sich in die Tradition Thomas Hobbes' stellten und an der Ausgestaltung eines perfekten Staats feilten. Othmar Spann tritt dabei ins Gedächtnis, der Begründer der „Herdflamme”. Darüber wollen wir aber nicht weiter sprechen, immerhin driftet es fernab unseres eigentlichen Themas. Darum soll abschließend folgende Konklusion formuliert werden: Dass ein Staat sich stets in der Funktion sehen muss, Eigentum zu schützen, ebenso wie die Judikative dessen nicht erwehren kann. Aus juristischer Sicht waren Hausbesetzungen von vornherein als illegal bekannt, gleichzeitig können wir Eigentum als Faktor für die Gesundheit einer Gesellschaft einstufen, ein jeder Bürger ist mit solchem besser dran. Es sich gegenseitig entreißen zu wollen, ist in drei Wegen erklärbar:
1. Als Verzweiflungsakt, weil jemand bereits am Hungertuch nagt oder im Begriff ist, einen privaten Bankrott zu erleben, weswegen er es sich von denjenigen nehmen muss, die es besser haben. Solche Menschen sind Symptome einer krankenden Gesellschaft, in der der Staat intervenieren muss, um den Missstand zu kurieren. Er ist in dem Fall ein Arzt, der sich über einen Patienten beugt, um das Übel ausfindig zu machen und es zu eliminieren.
2. Als Tat aus Gier, bei welcher sich jemand ermächtigte und bewusst einem Mitmenschen schadete, weil er (oder sie) den Mund nicht voll genug bekommen konnte und jedoch keine andere Möglichkeit sah, den inneren Drang zu befriedigen (beispielsweise hätten die finanziellen Mittel zur Neige gehen können). In solchen Fällen hilft entweder nur eine Therapie, wenn wir von einer klinischen Manie ausgehen müssen; oder eine Inhaftierung, wenn die Person ganz bewusst handelte.
3. Aus purer krimineller Energie, auch wenn uns solche Fälle selten bis gar nie über den Weg oder das Zeitungspapier wandern werden. Wenn Menschen aus einem solch niedersten Beweggrund handeln, nämlich dem, Menschen schaden zu wollen, hilft allein nur noch die Inhaftierung, um sie auf den rechten Weg zu führen.
Man sieht auf der Stelle, dass keine der drei Beweggründe sonderlich vorteilhaft für die Solidargemeinschaft ist, weswegen eine staatliche Regierung gut daran täte, sie auszumerzen. In zwei von drei Gründen muss zumindest der Erhalt von Gefängnissen berücksichtigt und erachtet werden, in einem können wir von einem sozialen Missstand ausgehen, welcher nur vom Staat und der Gesellschaft in Kooperation gelöst werden kann, zumindest, wenn man auf eine dauerhafte Lösung abziele, was nicht immer beabsichtigt wird, obgleich sich auch die partizipierenden Parteien darüber im Klaren sind. Ohne aber ins Populistische abzudriften, leiten wir stattdessen in den zweiten Absatz über.
Festhalten müssen wir es dennoch: Das Eigentum, ohne jegliche populistische oder ideologische Verblendung, ist die Quiddität unserer Gesellschaft, sie ist wie das Verb in einem Satz: Ohne sie, und die menschliche Veranlagung als soziales Wesen, wäre die Gesellschaft, wie sie hierin besteht, unmöglich gewesen, es hätte den Menschen bereits in der Frühzeit seiner Entstehung dahingerafft, weil er unfähig gewesen wäre, sich gegenüber den anderen Wesen zu beweisen, welche bereits körperlich zum Kampf veranlagt waren, während der Mensch als Primat sich von Baum zu Baum hangelte, um seinen Fressfeinden aus den Weg zu gehen. Die Neigung zur Sippenbildung brachte den Menschen zusammen und beflügelte die Bildung von Kleingruppen, die die Stärke einer fixen Gemeinschaft erkannten. Doch es war das Konzept des Eigentums, welches alles Darauffolgende in Gang setzen sollte, insbesondere die Innovationskraft des Menschen, die schließlich den Werdegang der modernen Gesellschaft bescheiden sollte. Diesen Werdegang nunmehr offen anzugreifen mittels einer sporadischen Guerillataktik kann dahingehend als Missverständnis der Probleme, die diese Gesellschaft heimsuchen, verstanden werden, gleichzeitig als minimales Risiko für dieselbe. Es wäre falsch, die wenigen radikalen Autonomen als maßgebliches Risiko für den Staatsschutz oder die Gesellschaft zu verstehen. Polizeiliche Statistiken vernahmen zwar eine Zunahme politisch motivierter Straftaten auf beiden Seiten¹⁷, doch lässt sich vermuten, dass Linksextremisten weiterhin in der Minderheit sind (wie sich der Fußnote entnehmen lässt, scheint man sich beim Bundeskriminalamt entweder selbst im Unklaren zu befinden oder sich in Geheimnissen zu umhüllen). Die Mehrheit der Gesellschaft können sie dabei nicht wiederspiegeln, lediglich eine radikale Minderheit, die von sich reden macht, indem sie ihr eigenes Verständnis von Gerechtigkeit und Konkretion exhibieren. In Wirklichkeit erzielt sich dadurch nichts, verschreckt eine Gruppierung mit wohlmeinenden Intentionen potentielle Anhänger und gestaltet sich als leichte Zielscheibe für Rechtspopulisten im Partikular.
Fakt ist: Um eine gemeinsame Lösung zu finden, wie man Gerechtigkeit schaffen und Obdachlosigkeit effektiv bekämpfen kann, geziemt es sich auch weiterhin, einen kühlen Kopf zu bewahren und die Debatte zu suchen, wo sie gleichermaßen geführt wird, ohne persönliche Anschuldigungen, Verschwörungstheorien oder den altbekannten Lagerkampf zwischen Linken und Rechten, die sich tête-à-tête entlang ihrer ideologischen Maginot-Linie bekämpfen, als ob ihr Leben davon abhinge. Unter solchen Umständen wird niemand zu seinem (oder ihrem) Recht kommen.
Die soziopolitische Sicht auf Hausbesetzungen
‚Ihr kriegt uns hier nicht raus!
Das ist unser Haus!′”
— Familie Ritter aus Köthen¹⁸
Über die Hartnäckigkeit kommen wir auch schließlich zur nächsten Frage, die sich unweigerlich stellen muss: Erfüllen diese Aktivitäten auch in angemessener Menge ihren Zweck? Auch hierbei könnten wir theoretisch auf die mediale Berichterstattung zurückgreifen: An den äußeren Enden, welche durch die „BILD” zu rechter und der „taz” zu linker Hand, kann man sich bereits vorstellen, wie über Hausbesetzungen berichtet wird²⁰. Jenseits dieser beiden Lager geht es indessen gesittet zu, man berichtet im Takt über aktuelle Entwicklungen, ohne Voreingenommenheit in der Berichterstattung. Man sieht aber anhand der Außenseiter, welches Potential solche Aktionen bergen und entsprechend, wo sich auch die linksalternativen Sozien bewusst verdingen. Es ist einerseits die Pressearbeit Dritter, als auch die eigene Pressearbeit, welche das Schema F gegenüber solchen Aktionen manifestiert: Man möchte auch von eigener Seite aus bewusst provozieren und polarisieren, man versteht es als Notwendigkeit im Sinne der Sache. Keinen Schritt zurücktreten, immer nur voraus. Vorwärts immer, rückwärts nimmer. Dass man auf diese Weise das eine oder andere Bauernopfer schlagen muss, nimmt man dabei billigend hin. Das Problem dabei nur: Einige dieser Bauernopfer waren dabei die Glaubwürdigkeit, das Vertrauen und der Rückhalt der breiten Masse innerhalb der Gesellschaft. Schlimmer noch: Man erwartet geradezu von der breiten Öffentlichkeit, ihren Worten und Taten vollstes Vertrauen zu schenken, oder fortan als Feind der Sache verstanden zu werden, als Wendehals, der im Zweifel für die Gegenseite Stellung bezieht. Natürlich sagt das so niemand (vor allem, weil heutzutage niemand mehr von einem Wendehals spricht) — vielmehr erkennt man sich einfach als die Gruppe der Guten, die den gerechten Kampf für die Menschen kämpft, insbesondere für die Minderheiten und diejenigen, die unter der Fittiche des Kapitalismus zu leiden hatten und ihres Lebens bis anhin niemals glücklich wurden; und ihre Gegner und Feinde (als zwei voneinander abgestufte Grade von Opportunisten gegenüber ihrer Sache), die sich gegen bessere Lebensbedingungen vor allem für Arbeiter und einfache Angestellte stemmen. Man überzeichnet sie praktisch mit einem geradezu misanthropischen und marktfreundlichen Weltbild, welches die Menschen bewusst übersähe, um die (angeblich einzigen) Gewinner des Status quo zu coquettieren. In Anbetracht solcher Faktoren ist es also verständlich, dass die Signalwirkung solcher Aktionen in der Regel nach hinten losgeht und gefestigte Ansichten verstärkt, der Impetus für den sozialen Wandel also ausbleibt.
So können wir also behaupten, dass die Absichten gemischt sin: einerseits geht es den Aktivisten um die Klärung sozialer Missstände, die die Schwächsten in der Gesellschaft am härtesten treffen, wobei gleichzeitig durch die Radikalität und irrige Pressearbeit auf Nischenplattformen in Kombination mit einer stark präsumtiven Philosophie in Anlehnung an marxistische Theorien und Konklusionen moderate Rezipienten abgeschreckt werden, welche aber für einen sozialen Wandel gebraucht würden, da ein sozialer Wandel nur aus der Mehrheit der Gesellschaft heraus erzeugt werden kann. Minderheiten allein sind dabei nicht mehr als ein Glimmern im Dunkel der Nacht. Hausbesetzer gehören (leider) zu dieser Minderheit, die sich nicht nur als schwarzes Schaf in der Familie stilisiert, sondern sich durch stete Provokationen bewusst vom Rest distanziert, um seine Andersartigkeit zu zelebrieren. Was bedeutet das für seine moralischen Hintergründe, Ansätze und Absichten?
Es käme natürlich die Frage auf, inwieweit zwischen wir Zielen und Methoden separieren müssen, doch wäre es falsch, allzu klare Linien dazwischen ziehen zu wollen — am Ende verlaufen beide doch parallel zueinander. Gleichzeitig wäre es auch pauschal, zu behaupten, dass die Methoden radikaler sind, je radikaler die Ziele sind. Ein wichtiger Faktor ist immer noch der Kopf hinter der gesamten Aktion. Ganz gleich ob wir von einer Person oder einer Gruppe als das Zentrum der Aktion ausgehen, bestimmen sie doch den Ausgang der Methode, da sie auch das Ziel stecken. Letzteres bestimmt also nicht zwingend das Maß an Radikalität, mit welcher es verfolgt wird — auch das radikalste Ziel kann in alerter Manier errungen werden, wenn man sich als geschickter Stratege und Taktiker herauszustellen versteht. Wie bereits zuvor angesprochen, muss man sich als Aktivist für eine gute Sache auch als Werber verstehen, der die Massen an Zuschauern überzeugen muss vom Produkt. In der Politik ist das keineswegs anders: Wenn man sich immer auf sich allein verlassen könnte, in Politik wie auch im Leben, könnte man ungeniert nach vorn preschen und dabei eine Spur der Verwüstung hinterlasse, ohne einmal zurückgeschaut oder die Vor- und Nachteile einer solchen Methodik hinterfragt zu haben. Männer wie Trump bilden eine solche Methodik durchaus ab, und entsprechend ist der Widerhall: Die einen finden es großartig, weil sie darin die Verkörperung der ihrigen Interessen sähen, in ihm einen Heiligen, der sie verstehe; und die anderen sehen in ihm einen Paria, der sie ale in die Bredouille führe. Die Spaltung der Gesellschaft ist somit vorprogrammiert. Der behände Taktiker hingegen nimmt entweder alle Bürgerinnen und Bürger mit (in der Regel sind auch alle Generäle, Minister und Präsidenten auf das Wohl und die Zustimmung ihrer Schößlinge angewiesen), oder kreiert zumindest durch die eigenen Entscheidungen einen professionellen Diskurs, in der allein die Idealisten und Radikalen im Eifer des Gefechts auf degoutierende Maßnahmen zurückgreifen (beispielsweise Beleidigungen, krasse Schuldzuweisungen, das Erschaffen von Verschwörungserzählungen, die sich um die zentrale Figur der Kontroverse oder Maßnahme drehen, etc.). Was nahezu unmöglich klingen mag, ist dabei durchaus machbar und von Vorteil für alle Beteiligten. Beim Thema Wohnungsnot ist es nicht anders, und so kann man durchaus behaupten, dass Hausbesetzer zu letzterer Gruppierung, wobei wir auch nicht unbedingt von einer professionellen Atmosphäre sprechen können, in der eine gesittete Diskordanz möglich ist: Durch das nicht-Erfassen von Zahlen, die die Obdachlosigkeit erfassen (s. Fußnote n° 15) und der Mangel an bezahlbarem Wohnraum, der in der Bundeshauptstadt Berlin kontroverse Gesetzesvorschläge wie den „Mietendeckel” oder die (moderatere) „Mietpreisbremse” voranbrachte, bedeutet vor allem, dass politisches Versagen Wut heraufbeschwor, die letztlich in (teils) kurzsichtige Beschlüsse mündete²¹. Statt eines kühlen Kopfes walteten bei der Ausarbeitung solcher vermeintlicher Antidoten sinnlose Kräfte. Man kann nicht einmal behaupten, dass sie sich im Zugzwang befanden, es war vielmehr der Wunsch, sich dem Wähler gegenüber zu profilieren, als die Macherpartei, die sich für die soziale Gerechtigkeit einsetzt, für die einfachen Menschen anstelle der Unternehmen und Konzerne. Hierbei treffen wir aber auf eine Krux: Diese vermeintliche soziale Gerechtigkeit ist in seiner Substanz ein Zwitter zwischen einem Kalenderspruch und einem Portmanteau, welches mehrere Inbegriffe gleichzeitig ausdrücken soll: Es ist simultan nichtssagend und soll doch von jedem für mehrere Faktoren und Ideen ausdrücken, wobei ersteres vielmehr auf einem präsumtiv bestehenden Konsens, der gleichermaßen endet wie Sachverhalte, über die wir bereits zuvor sprachen: Wer dem entsprechenden Lager angehört, stimmt dem eher zu als das, welches dem Lager bereits zuvor opportun gegenüberstand. Das zustimmende Lager wird nicht versuchen, die Skeptiker zu überzeugen, sondern mauert entweder oder betrachtet die Skeptiker als Feinde, die es zu bekämpfen gilt, in ewiger Diskordanz. Anstatt das Lagerdenken aufzubrechen und abseits der sogenannten Querfront grenzübergreifende Allianzen zu schmieden, verfestigt man bestehende Blockaden, die ein Vorankommen weiterhin verhinderten.
Trifft das also auch auf die Hausbesetzungen zu? In Teilen müssen wir sagen, dass dem so ist, ja. Obgleich es von unheimlicher Wichtigkeit ist, die Tragweite der Wohnungsnot anzuprangern, sind Hausbesetzungen doch die falsche Herangehensweise, da sie ein falsches Bild von der gegebenen Situation abgeben — sie verurteilen Eigentümer, die mitunter keiner Gesellschaft wie „Vonovia” oder „Deutsche Wohnen” angehören, sondern vielleicht private Vermieter, die Wohnungen als zusätzlichen Verdienst vermuten, beispielsweise für Touristen. Natürlich sind solche auch seltener von Besetzern betroffen, doch geraten sie in der öffentlichen Debatte, angefacht von solchen Aktionen, nicht selten selbst unter die Räder, wie bereits zuvor ausgeführt. Niemand würde im Krieg eine Gatling Gun einsetzen, um einen Scharfschützen auf der anderen Seite der Front auszuschalten. Das Ziel ist es, größtmöglichen Schaden auf der Gegenseite richten, koste es, was es wolle. Darum standen zur Hochzeit der Debatte nicht vordergründig Maßnahmen gegen Konzerne im Raum, sondern Maßnahmen zur allgemeinen Deckelung von Mieten, welche am Ende alle Vermieter getroffen hätten, und nicht nur die Löwen im Ring.
Apologeten solcher Maßnahmen werden Einwände gegen meinen relativistischen Ansatz haben, abseits der Tatsache, dass ich (vermeintliche) Täter in Schutz nehmen wolle, indem ich die Demonstranten und Aktivisten in Regress zöge. Das stimmt nicht ganz: Wie aber schon vielmals erläutert haben Aktivisten und Demonstranten auch immer eine gewisse Signalwirkung, derer sie sich bewusst werden müssen, bevor sie auf die Straße gehen und ihrem Unmut Luft machen; sie müssen sich vorher genau im Klaren sein, was sie bestreiken, wenn sie sich nicht des Populismus schuldig machen wollen; sie müssen wissen, wen sie bestreiken, wer der tatsächliche Feind ist, beziehungsweise was das spezifische Übel ist, das ihnen und ihren Mitmenschen so viel Leid bereitet. Bereits jetzt können wir, ausgehend vom vorangegangenen Text, behaupten, dass der Gedanke der innerstädtischen Verdichtung, vielmehr noch der Drang der Menschen, in Städten leben zu wollen und Jobs in Bureaux wahrzunehmen, die Preise treibt, während das flache Land allmählich ausstirbt²². Es sind solche Faktoren, die bei Hausbesetzungen außer Acht gelassen werden, auch wenn es nicht von der Hand zuweisen ist, dass ebenso viele Wohnungen auch leerstehen, meist über lange Perioden hinweg. Die Not könnte ihr augenblicklicher Bezug auch nicht lösen, es wäre nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein²³. Was unter alleiniger Betrachtung dieser Besetzungen gezeichnet würde, ähnele geradezu einer Travestie: Innerstädtische Geisterstädte aus Wohnungen, die niemand bewohnt; die vorbeifahrenden Autos zöge es in die Peripherie, während der Kern ausgehöhlt ist.
Fazit und Schlussfolgerungen
— Tin Woodman
Die Jugend und jungen Menschen zieht es also notgedrungen in die Städte, da das Leben dort vornehmlich angenehmer ist: Besseres Internet, bessere Jobs, und die Geschäfte sind alle um die Ecke anstatt kilometerweit entfernt. Vielen erscheint ein Leben in der Stadt auch weitaus umweltfreundlicher, da sie dort vorrangig auf die öffentlichen Verkehrsmittel zurückgreifen können. Ungeachtet bleiben dabei Nachteile wie der Schaden für die Lebewesen, die allen Widrigkeiten zum Trotz weiterhin in den Städten leben (abgesehen von den Menschen selbst): Die künstliche Beleuchtung bei Nacht bringt den Biorhythmus vieler Tiere durcheinander, weswegen auch ihre Fortpflanzung beeinträchtigt wird, um nur einen Grund zu nennen. Dass sie aber auch weniger schlafen als natürlich, sollte ebenfalls angemerkt werden, um aufzuweisen, dass das Leben im Stadt dem Umweltschutz kontradiktiert²⁶. Manch einem wird diese Aussage zu hart sein und als Doppelstandard oder ähnliches klassifiziert (ich lebe auf dem Land); diese Personen müssen sich aber fragen, wie man Wasser predigen und Wein trinken kann. Vielen Aktivisten fehlt es in Teilen an der nötigen Konsequenz in ihren Lehren. Die bekannte deutsche „Friday's For Future”-Rädelsführerin Luisa Neubauer wurde in den Sozialen Netzwerken kritisiert, als sich herausstellte, dass sie mit ihren 21 Jahren, zur Hochzeit der Klimaschutzbewegung, bereits ein ganzes Logbuch voller Langstreckenflüge angesammelt hatte²⁷. Als man das hervorhob und Luisa Neubauer sogleich Heuchelei vorwarf, sprangen ihr linksalternative Internetportale²⁸ zur Hilfe und bezichtigten ihre Kritiker des Gebrauchs von ad-hominem- und ad-absurdum-Argumenten. Bei einer geringeren Anzahl von Flügen wäre es auch sinnvoller gewesen, doch kam Luisa Neubauer in ihrem bis dahin noch relativ kurzen Leben sehr viel herum, während der Autor dieses Texts in seinem gesamten Leben (24 Jahre) nur einmal flog und ansonsten nur nach Südfrankreich und Norditalien fuhr. Es ist also möglich, weniger zu fliegen als sie es tat. Auch das wäre kein Problem und stünde in Konkordanz mit den Äußerungen der Bewegung, wenn sie nicht noch wegen ihrer aktivistischen Tätigkeit geflogen wäre, weit über den Globus hinweg. Von Reue ist dabei nichts zu sehen, sie fuhr mit ihrer Tätigkeit fort, im selben Ton. Die Verantwortung für den Klimaschutz wird in weiten Teilen auf Großkonzerne und Regierungen abgewälzt, was natürlich auch seine Richtigkeit hat, doch von oben herab erscheint, wenn man nebenbei die wichtigen Eckpunkte des eigenen Lebens Revue passieren ließ und daraufhin konsequent änderten — eben, wie man es von anderen erwartete. Niemand erbittet natürlich ein Dasein in Armut oder als Eremit, um als Vorbild für andere fungieren zu können. Der des Öfteren gehörte Spruch, dass man Klimaschutzaktivisten, die noch bei ihren Eltern lebten (viele von ihnen sind ja noch Schüler), die Heizung im Winter abdrehen sollte, um ihnen zu zeigen, was die Folge ihrer Forderungen sei, ist Unfug. Konsequentialismus bedeutet nicht Totalität, sondern eben Gewissenhaftigkeit in den eigenen Handlungen. Man sollte die Ressourcennutzung nach Möglichkeit auf ein Minimum begrenzen, und bei Langstreckenflügen handelt es sich nun einmal um einen Luxus, auf den man verzichten kann, ohne dabei erhebliche Abstriche im eigenen Lebensstandard zu machen. Es gibt genügend Menschen, die nicht einmal in ihrem Leben ein Flugzeug betraten und dennoch glücklich waren. Der Autor dieses Texts flog einmal mit einem Flugzeug und war zum Zeitpunkt des Flugs noch im Kindergarten, wodurch er nicht Herr seiner Handlungen war. Luisa Neubauer, wie auch manche im Netz persiflierten und teils auch mit (misogynen) Beleidigungen daherkamen; Beleidigungen, die nicht nur als solche bereits mehr als despektierlich und niveaulos waren, sondern obendrein auch noch gänzlich am eigentlichen Thema vorbeigingen. Es geht auch anders, selbstredend, und Luisa Neubauer müsste noch eines tun, um auch von ihren Kritikern und Skeptikern ernstgenommen zu werden, wie so viele in der FFF-Bewegung, die nicht selten geradezu schablonenartig die immer selben Phrasen dreschen, um auf ihr ansonsten selbstverständlich wichtiges Thema aufmerksam zu machen. Was ihnen allen in der Regel fehlt sind Authentizität und der Drang nach Kooperation und Schmiedung von grenzübergreifenden Allianzen. Man kennt es natürlich noch: Wie man vor allem in der Anfangszeit vor allem gegen die Generation der eigenen Eltern schoss und von Boomern sprach, wenn man von Klimaleugnern sprach, aber auch von denjenigen, die ihre radikalen Forderungen als überzogen und drastisch betrachteten, teils sogar destruktiv gegen die Gesellschaft. Die Ausflucht, dass sie eben auch einstmals flogen, galt für sie nicht, auch nicht, dass sie damals eben ihr Leben genossen, die Wirtschaftswunderzeit und eben ihren Wohlstand. Zur Zeit der 68er, also der Ära benannter „Boomer”, nahm die Klimaschutzbewegung ihre ersten — kitischigen — Anläufe, war aber schon zu der Zeit Sache der jungen Rebellen, die gegen ihre Elternhäuser aufbegehrten. Heutzutage lassen sich dafür einige mehr gewinnen, in der Regel handelt es sich aber um Menschen vornehmlich aus dem linksliberalen und -alternativen Spektrum, von einer Abholung für grenzübergreifende Koalitionen kann abermals nicht die Rede sein. Viele versuchen es auch gar nicht erst und mauern bereits massiv gegen diejenigen, die ihnen zunächst skeptisch bis kritisch gegenüberstehen und transformieren diese Kritik und teilweise Ablehnung aufgrund der Attitüden (nicht unbedingt der Idee des fortgeschrittenen Klimaschutzes selbst) in blanken Hass. Im Umkehrschluss bedeutet das: Solange die moderne Klimaschutzbewegung eine dominant linksliberale Angelegenheit bleibt, mit entsprechendem Wortlaut, entsprechender Agenda und öffentlichkeits(un)wirksamem Auftritt, der sich geradezu exklusiv an dieses Milieu richtet, kann der Klimaschutz nicht gelingen. Er bleibt auf diese Weise eine in sich geschlossene und unnahbare Clique, die mit ihrem ideologischen Türsteher diesen Status quo manifestiert.
Fußnoten
Quelle: BAG Wohnungslosenhilfe e.V. (11. November 2019). Wohnungslosigkeit: Kein Ende in Sicht. Link:
Zum Jahrbuch: Bundeskriminalamt (Hrsg.) (2029). Polizeiliche Kriminalstatistik der Bundesrepublik Deutschland. Jahrbuch 2019. Band 1: Fälle, Aufklärung, Schaden. Link: https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/PKS2019/PKSJahrbuch/pksJahrbuch_node.html. Seite 52.
Zur Pressemitteilung: Bundsregierung (27. Mai 2020). "Es sind Angriffe auf uns alle". Link: https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/pmk-1751882#:~:text=Das%20ergibt%20sich%20aus%20der,%2C%20Holger%20M%C3%BCnch%2C%20vorgestellt%20hat.
Bernau, Patrick (21. Juni 2020). Berlin scheitert mit Ansage. Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ): https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/berliner-mietendeckel-scheitern-mit-ansage-16824337.html
Fakt ist jedoch, dass solche Maßnahmen oberflächlich sinnvoll erscheinen, jedoch in der Praxis einer Gruppe betrunkener Hooligans gleichkommen, deren Verein man wüst beleidigte. Besser ist es, kühlen Kopf zu bewahren, und alle involvierten Parteien an einen runden Tisch zu bitten. Auf diese Weise kann auch ein einvernehmlicher Kompromiss gefunden werden: Weniger „Politik vom grünen Tisch”, dafür mehr Politik an der vordersten Front.
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