Die Qual der Wahl zwischen Pest und Cholera

Wen wählen, wenn man niemanden wählen möchte?

In den letzten Wahlen der höchsten Größenordnung, möge man sie nun Präsidentschafts- oder Regierungswahlen nennen, kam es des Öfteren auf, dass manche Menschen sich nicht etwa nicht entscheiden konnten, weil eigentlich alle Optionen gefielen, sondern, weil jede Option auf Missfallen stieß. Menschen wollten also niemanden wählen, weil sie keine Wahl mit gutem Gewissen hätten treffen können. Weniger stand also vor einer nicht-Wahl die Hoffnungslosigkeit des Wunschkandidaten, sondern die Angst vor einem Sieg eines jedweden Kandidaten.
Auch aus diesem Grund wällte ich ein „Portmanteau” aus zwei damit häufig verbundenen Redewendungen: Die „Qual der Wahl” (im Umkehrschluss eben die „Wahl der Qual”, welche mir erstmals bei einer Karikatur in meiner Tageszeitung zur Präsidentschaftswahl in Ägypten im Jahre 2012 auffiel: Die Bürger hatten ihr zufolge nur die Wahl zwischen Unterdrückung und einem Genozid) und der sprichwörtlichen  „Wahl zwischen Pest und Cholera” (in den USA kursiert obendrein auch noch die Redewendung von einer Flight 93 Election, doch dürfte das hierzulande niemand verstehen, insofern wäre sein Einbringen sinnlos und erklärungsbedürftig, wodurch der Witz vergangen wäre): Es ist im Grunde eine Klimax zwischen solchen Faktoren, die Menschen haben nicht mehr so häufig wie früher die Freude an einer Wahl, bei der sie nicht verlieren können, sondern nur noch die Wahl zwischen zwei negativen Faktoren, bei der sie im Zweifelsfall nur verlieren können, somit noch nicht einmal freudig überrascht werden können. Es ist die Tragik der Moderne, möchte man meinen; konnte man früher die Politik einfach Politik sein lassen, und sich in der Zwischenzeit mit dem Privaten beschäftigen, ist die Politik heutzutage vor allem durch die Medien permanent omnipräsent, man entkommt ihr nicht mehr. Viele Menschen sprechen bereits resignierend von einer Politisierung des Privatlebens eines jeden, wobei das auch gerne von der Gegenseite als Hypochondrie abgetan wird; letztlich hängt es auch immer davon ab, wie intensiv man die Nachrichten verfolgt und sich mit der Politik in ihrer Materie und als Wissenschaft auseinandersetzt. Wer das mehr tut als andere, mag die Welt mit anderen Augen betrachten als jemand, der sich lieber mit anderen Dingen beschäftigt. Ich spreche hierbei aus Erfahrung. 
Was aber möchte ich zum Ausdruck bringen? Eines im besonderen. Stehen in Deutschland solche wichtigen Wahlen an, an welcher sich die ganze Nation beteiligen darf, wozu sie, die Wähler, auch häufig angehalten werden. Erwidert man daraufhin, dass man niemanden hat, den man guten Gewissens wählen kann, wird einem gesagt, dass es egal sei, Hauptsache man wählt nicht die AfD. Punkt. Das sitzt erstmal – sagt man, dass man nicht von seinem demokratischen Grundrecht Gebrauch machen möchte, wird einem dazu angeraten, es dennoch zu nutzen, jedoch nicht aus eigenem Ansinnen, sondern zum Zwecke der Instrumentalisierung. Man soll seine Stimme wenigstens nutzen, um eine Partei samt ihrer Kandidaten für Posten zu verhindern. Bei der AfD sprechen wir natürlich nicht von irgendeiner Partei, sondern on einer nationalistischen und rassistischen Partei, welche man nur ungern an die Macht kommen sehen mag, weswegen das Verhindern ihrerseits durchaus nachvollziehen kann. Und dennoch: Demokratische Rechte (und Pflichten, selbstredend) sollten nicht in irgendeiner Form instrumentalisiert werden, auf diese Weise verkommen sie zu bloßen Machtinstrumenten, wie es auch bei Parteispenden durch Unternehmen und Konzerne bereits passiert ist (in Deutschland wäre es auch von natürlicher Seite nur bedingt möglich wie es schon bei juristischer Seite nahezu unmöglich wurde, da bestimmte Summen Indikatoren darauf sind, ab wann man im Rechnungsbericht namentlich erwähnt werden muss, wodurch etwaige Einflussnahme auf der Stelle aufflöge; dahingehend fielen regelrechte Ansammlungen an Spenden knapp unter diesem Indikator insofern auf, als dass insbesondere Journalisten Fragen stellen werden, wer diese vielen Einzelspenden, die sich so auffällig knapp unter dem Mindestbetrag befinden, tätigte. Eindeutig doch wohl jemand, der nicht erkannt werden möchte, jedoch ein Interesse daran hegt, Einfluss zu nehmen).
Demokratien setzen jedem Staatsbürger eines
Landes ein Mitbestimmungsrecht voraus.
(Image by mohamed Hassan from Pixabay)
Sollte aber nicht ein jeder sich dazu berufen fühlen, derartige Strömungen aus Regierungsgebäuden herauszuhalten? Da wir hier insbesondere, wenn nicht sogar ausschließlich, von der AfD sprechen, verweise ich zunächst auf andere Texte, die ich zu diesem Thema bereits schrieb, und ansonsten kann ich nur sagen: Natürlich haben wir die, mindestens auf Bundes- und in Teilen auf Landesebene, doch sollte man diese Wahl auch bewusst treffen, und nicht, weil man sich dazu gezwungen fühlt (somit noch nicht einmal berufen, beispielsweise als ein Beschützer der Demokratie). Manc heiner, der derart argumentiert, mag noch behaupten, dass die AfD bisweilen keine Chance auf eine Regierungsbeteiligung hat, weil sie einerseits jedermanns Missachtung genießt, und andererseits noch nicht genügend Prozente für eine Alleinherrschaft oder den Druck zur Koalition mit ihr haben. Früher oder später könnte aber der eine oder der andere Faktor eintreten, und ab dann bräuchten diese Apologeten ihrer Inaktivität eine neue Begründung für ihr Handeln. 
Und dennoch, trotz alledem, sollte niemand zur Wahl gezwungen werden. Wir verstehen die Teilnahme an demokratischen Wahlen nicht als immerzu gegeben, und dennoch (oder genau deswegen) als ein Grundrecht. Auch deswegen werden Menschen dazu angehalten, an ihn teilzuhaben; nicht etwa, weil es eines Tages verschwunden sein könnte (beispielsweise durch ein Wiederaufkeimen der Diktatur), sondern einerseits, weil man Parteien wie die AfD an einer Machtergreifung hindern möchte, und weil die Diversität der Parteienlandschaft erhalten bleiben soll: Je mannigfaltiger die Stimmverteilung, so der Duktus, desto besser (auch wenn viele Linke die CDU als Vorhof zum Faschismus sehen und die FDP als verantwortungslose Partei, die lieber auf technische Innovationen warten anstatt zu handeln/handeln zu wollen. Weniger geht es um die Meinung, die sie für sich halten, selbst, als mehr darum, mit welcher Verve sie über die Parteien sprechen, als dass sie wahrhaftig keine andere Meinung als die ihrige anerkennen könnten, wodurch der öffentliche Diskurs durch ihr Zutun festgefahren wird). Die Schlussfolgerung stimmt aber nichtsdestoweniger: Eine pluralistische Gesellschaft versteht besser zu florieren als eine Monotonkultur, in der jede Opposition im Keim erstickt wird, sodass sie nicht auferstehen kann. Man kennt es, die Rede ist natürlich von Autokratien. Dazu gehört aber am Ende auch die Meinung, dass man entgegen aller guten Gründe nicht wählt, weil man sich niemandes Herrschaft über vier Jahre wünschen kann. Es mag nicht unbedingt die wünschenswerteste Reaktion auf eine Wahl sein, doch im substantiell demokratischen Diskurs (gemeint ist damit, dass wir in einem System leben, in dem die Demokratie die einzige Komponente ist, welche es definiert) sollte sie akzeptiert werden können ansonsten muss man sich fragen, wie weit das eigene Demokratieverständnis geht. Denn was ist die Wahl in einer Demokratie, wenn nicht letztendlich ein Abbild dessen, was die Menschen (welche wählen dürfen und es auch waren) wollen (besser gesagt: Die Mehrheit der Menschen, der Rest muss sich im glücklicheren Fall mit der Opposition begnügen). Und wenn es auf eine Mehrheit für die AfD zuläuft, dann ist dem nun mal so, daran kann man nichts ändern, solange man es nicht schafft, die AfD auch per Gerichtsbeschluss zu verbieten (den Gerichten sollte man als Demokrat Vertrauen schenken, solange man sich sicher sein kann, dass die Regierung bei der Ernennung neuer Richter in irgendjemandes Hände hineinpfuscht). Ist man aber gegen die AfD generell, und glaubt auch, dass die Gerichte nunmehr von Sinnen sind, weil sie die AfD noch immer nicht abgeschossen hat, dann sollte dieser Jemand den notwendigen nächsten Schritt folglich erkennen: Dass Staaten in Ernstfällen unzuverlässig sind (solange sie demokratisch regiert werden), weil sie von innen heraus drohende Gefahren nicht auszumachen und effizient zu bekämpfen weiß. Und was nützt schon ein System, welches sich nicht zu wehren weiß? Nichts wie man sich denken kann. Vielmehr zeigt es, dass es durch seine Anfälligkeit für Korruption vielmehr eine Gefahr für seine Schützlinge darstellt. 

Ohnedies wirkt eines deutlich durch derartiges Drängen (Die Alliteration ist mir gelungen, nicht?): Dass der Schutz dieses Systems durch das Wählen der richtigen Parteien und der Verzicht auf die falschen durchaus vonnöten ist, wenn es um seinen Erhalt geht. Es wirkt halsstarr auf den ersten Blick, und mitunter ist es das auch; Das einzig starre System, welches auf Dauer bestehen kann in einer dynamischen Gesellschaft, ist das, welches flexibel genug ist, sich auf sich verändernde Umstände entsprechend reagieren zu können. Wie das Chamäleon, welches sich auf seine äußere Umgebung anpassen kann, um mit ihr zu verschmelzen. Darwin selbst begründete es in seinem berühmten Zitat (angeblich seines) am besten: 
„It is not the strongest of the species that survive but the one most responsive to change.”
Warum sollte das aber nur für die Umwelt samt ihrer Flora und Fauna gelten, und nicht auch für von Menschen kreierte soziale Konstrukte wie beispielsweise komplexe Gesellschaften? Warum nicht auch für staatliche Konstrukte zur Distribution von Ressourcen und Sanktion von Zuwiderhandlungen gegen den öffentlichen Frieden? Es wäre doch ein gewisses Missverständnis der Natur, wenn man versuche, um alles in der Welt gegen sie zu handeln, und darum von Beginn an zum Scheitern verdammt. 
Legitimiert dieses Argument nicht aber die Sichtweise der Nationalisten und Rassisten? Potentiell schon, doch wir können nicht allzu viel tun, um solche Sichtweisen auszumerzen, oder zumindest einzudämmen: Man kann natürlich soziale Missstände bekämpfen, damit mehr Menschen die Möglichkeit haben, ohne Weiteres Zugang zur Bildung zu erlangen, um sich somit eine eigene Existenz am Ende ihrer Ausbildung zu gemachten Menschen aufzubauen; man kann natürlich die digitale Infrastruktur weiter ausbauen, um einheitliche Standards deutschlandweit zu erzielen, damit strukturschwache Regionen attraktiver für Unternehmer und Investoren werden; man kann natürlich auch penetrant Projekte und Initiativen „... gegen rechts” fortsetzen, um sozial abgehängten Menschen und von falschen Scharlatanen in die Irre geführten Brandstiftern weiter auf der Nase herumzutanzen, um sie in ihren Ansichten mitunter noch zu bestätigen. All das kann man selbstverständlich tun, doch ist das mit den meisten Parteien, insbesondere aber der Regierung GroKo, nicht zu wollen. Sollte es also auch mit der künftigen Regierung nicht besser werden – es ist nicht zu erwarten, dass 2021 noch einmal dasselbe alte Konzept aufgewärmt wird, ansonsten könnte man niemanden sonst außer sich selbst für den Erfolg der AfD verantwortlich machen –, könnte man darauf hoffen, dass staatskritische bis antistaatliche Konzepte in der Mainstreamkultur Einzug halten, weil die Menschen verstanden haben, dass Staaten von zu vielen vagen und beeinflussbaren abhängig sind, als dass sie auf Dauer funktionieren können. Zu glauben, dass eine Demokratie in einer solchen Zeit – einer Zeit immer schneller verfügbarer Informationen und einem hohen Maß an gezielter Falschinformation beeinflussbarer Wähler durch autokratische und zutiefst feindselige Nationen wie beispielsweise Russland – als substantielles Material für eine gelingende, solide Gesellschaft gelingen kann, sollte sich auch entsprechend weniger über das Wahlverhalten von AfD-Wählern aufregen, immerhin sind auch sie nur Wähler. Man kann von ihnen und ihrer wohl menschenfeindlichen Gesinnung halten, was man möchte, doch solange sie im Besitz eines deutschen Passes und mindestens 18 Jahre alt sind, kann man ihnen ihr Wahlrecht nicht absprechen, immerhin widerspräche man so den Grundstatuten dieser demokratischen Nation. Man wird wohl oder übel auch weiterhin auf das Motto #WirSindMehr setzen müssen, bis es kracht. Wollte man aber diese Wähler ausschließen, handle man, dem Grundverständnis nach, antidemokratisch. Man könnte natürlich alle Beispiele der nationalistischen, rassistischen und sonstigen Einstellungen der AfD zusammentragen, sich mit möglichst vielen Menschen zusammentun und eine Sammelklage für das Verbot der AfD vor Gericht einreichen, in der Hoffnung, dass man ihnen Recht geben wird, doch solange diese Partei besteht, ist sie demokratisch legitimiert, und dürfen ihre Abgeordneten am parlamentarischen Diskurs teilhaben, inklusive aller Anrechte und Widrigkeiten, mit derselben Behandlung wie für jede Partei. Das mag einem nicht goûtieren, doch so ist nun einmal der hochgelobte demokratische Diskurs. Ist die Demokratie zeitgemäß, so sollte sie es schaffen, diesen Virus, den die AfD für so viele darstellt, auslöschen können. Die Zeit von '33 bis '45 und die danach stattgefundene, fehlgeschlagene Entnazifizierung unter der Adenauer-Regierung geschaffen haben, um fortan gewappnet zu sein vor diesem Virus – oder eben nicht. 

Was also am besten tun? Man kann sie nicht alle bekämpfen, könnte man sagen, insofern ist es besser sie zu isolieren, in einer Form, wie sie einem selbst (un)freiwillig behilflich sein können: Durch eine Auflösung des Staates, und eine forcierte Kommunalisierung der Gesellschaft: Die Menschen finden sich nicht länger in Staaten zusammen, sondern reduzieren ihre Zusammenschlüsse, wie es ihnen persönlich beliebt, präferiert werden sollte nichtsdestotrotz die Kommune, also die dörfische bis gemeinschaftliche Ebene, wie es sie auch heute gibt. Sie ist aus vielerlei Gründen, welche ich in einem separaten Text ausarbeiten werde, zu bevorzugen, da sie eine direkte Mitbestimmung aller Mitmenschen möglich macht, ohne eine Obrigkeit zu benötigen, wie es in Staaten üblich ist, aus guten Gründen (die Größe und ihre Hierarchien bedingen sie). Es findet sich zusammen, was zusammen passt, und Strömungen/Individuen, die miteinander nicht können, gehen sich aus dem Weg. Es wird zwar immer gepredigt, dass Gegensätze sich anziehen, doch in der Realität verbringt man auch nicht mehr Zeit miteinander, als man kann, ohne sich gegenseitig an die Gurgel zu springen. Und da die „Herrenrasse” so sehr von ihrer Überlegenheit überzeugt ist, wird sie jedweden fremdartigen Einfluss meiden. Eine umzäunte Kommune könnte also praktisch ihr Traum sein, immerhin wäre ihr Staat, hätten sie ihn jemals wieder erschaffen können, nicht minder isoliert gewesen. Ohnehin wäre es auch weitaus einfacher sicherzustellen, dass ihr Genpool rein bleibt wie ein weißes Hemd. Sie könnt in trauter Eintracht zusammenleben, Aus- und Eingänge akribisch überwachen, und inzestuösen Nachwuchs bekommen welcher ihren Untergang bestellen wird. Eine Win-Win-Situation für alle, sozusagen. Und diejenigen, welche nicht so paranoid und irregeleitet sind, können miteinander kooperieren, um somit ein allumfassendes Netz aus Kommunen zu bilden, welche alle nach ihrer jeweiligen Façon leben, inklusive allem Ignorierens und Kooperierens, wie es ihnen beliebt. Es wäre – hierbei natürlich nur auf das gröbste heruntergebrochen, die weitreichenderen Details wurden vorsätzlich ausgelassen – in der Masse weitaus flexibler und entsprechend besser eingestellt auf Katastrophen und sonstige Eventualitäten. Anders als ein Staat, der mindestens fünf Minuten braucht, bis er auf den Ball, der ihn am Kopf traf, reagiert. Er ist wie ein fünfzehnjähriger pubertierender Jugendlicher, der das erste Mal Gras geraucht hat, nur, dass er eben ein Staat ist, und er auf den Klimawandel reagieren muss ,es aber nicht tut, weil die Mühlen seiner Bureaukratie ihn jegliche schnelleren Handlungen daran hindern, schneller darauf zu reagieren. Und so schaufelt er sich behäbig sein eigenes Grab. Reagierten nur seine Einwohner rationaler als auf Twitter zu lamentieren, und AfDlern den Tod zu wünschen. Sie könnten sich selbst besser helfen, immerhin sind ihnen alle notwendigen Mittel gegeben. Sie müssen sie nur einsetzen. 

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