Nach Landtagswahlen in Sachsen: Leipzig erklärt Unabhängigkeit vom Freistaate

„Wir wollen nicht länger mit den Faschisten gleichgesetzt werden”


LEIPZIG (dpö) – Es war seit jeher abzusehen, und nunmehr bewahrheitete es sich in Form einer Verzweiflungsaktion. Am heutigen Tage händigte man dem noch-Ministerpräsidenten Sachsens, Michael Kretschmer (CDU), eine von Burkhard Jung (SPD) unterzeichnete und von den Bürgern Leipzigs verfasste Unabhängigkeitserklärung, die ihre Autonomie vom Freistaate Sachsen besiegeln soll. Trotz zahlreicher Proteste von außerhalb der 560.000 Einwohner zählenden Stadt sieht man sich dazu imminent genötigt, sich abzukapseln vom immer feindseliger anmutendem Bundesland.
Schon häufiger äußerten sich Leipziger Bürger über den Trend, den ihr einstiges Bundeslang ging. Man sprach von einer zunehmenden Verrohung, einer Welle des Hasses, die ihr einst so hoffnungsvolles und freiheitsliebendes Sachsen schöpfte, nachdem man 1990 erfolgreich die Autokratie des sowjetischen Satellitenstaates abschüttelte und einer glückseligeren Hoffnung entgegensah. Doch was blieb von diesem einstigen Unternehmergeist, der die Menschen damals zur stillen Revolution auf die Straße trieb? „Rein gar nichts”, lamentiert ein besorgter Leipziger Bürger, der seinen Namen nicht abgedruckt wissen mag aufgrund von Ängsten über mögliche Drohungen gegen seine Familie. „Wir haben uns zu dem verwandelt, was wir selbst abschirmen wollten mit unserem antifaschistischen Schutzwall.” 
Eine weitere Passantin ging noch einen Schritt weiter: „Auf Dauer hatte ich das Gefühl, dass wir den Schutzwall wieder raufziehen müssten, um die Faschisten in Sachsen einzusperren”, exklamierte eine Frau, die sich nur als Mandy identifizieren wollte. „Schauen sè sisch doch'ê ma' um hiè – dət sind doch allet lupenreene Faschisde hiè, die man nu' noch antreffè kå, dət hat doch nichds mêr midd 1989 zu dÿn –höchsdens schdehn die jetz' ålle uff'a anner Seid' von dè Revoluzion!”*
Doch gab es auch kritischere Stimmen, die sich gegen eine Unabhängigkeitserklärung vom Freistaate aussprachen. Ein Mann, der sich selbst als Ronny Meiendorf (45) zu erkennen gab, und obendrein angab, die CDU gewählt zu haben, welche in Leipzig-I und Leipzig-Land die jeweils meisten Erst- und Zweitstimmen erlangen konnte (in der Allgemeinheit, ungeachtet der Spezifika für die einzelnen Wahlkreise; wer es genau wissen will, kann es sich hier in der interaktiven Karte anschauen), und in Leipzig-I die Kandidatin der im Jahre 2014 siegreichen AfD schlagen konnte. Ihm bekam die Idee eines Stadtstaates überhaupt nicht: „Ick weess gar nicht, wad ded soll, was wə als Staddstaad sollè. Wollè wè hiə ne Kommÿne oofmachè, oda wat war dè Plan von denè? Ick heeb keene Ahnung, ick wa' ohnehí nie dafø. Alles Kinnerkagge hiə.”*
(Image by Caro Sodar from Pixabay)

Ähnlich äußerte sich da auch der Professor für Volkswirtschaft, Heribert Schowange (57), von der Uni Leipzig: „Es liegt ganz klar auf der Hand, dass eine solche Unabhängigkeitserklärung nichts als Probleme bringen wird”, erklärte Schowange in Hinblick auf die Zukunft einer Freistadt Leipzig. „Sobald Leipzig erst einmal für sich alleine sorgen muss, kommen Fragen um eine Vertretung der Stadt im Bundesrat auf; wird die Stadt einen ähnlichen Status genießen wie beispielsweise die Hansestädte Bremen und Hamburg? Wird man diese Unabhängigkeit überhaupt anerkennen, oder ist das alles bloß Show und löst sich binnen weniger Wochen wieder auf? All diese Fragen wurden noch nicht geklärt, man schloss sich obendrein noch nicht mit der künftigen Landesregierung kurz. Das gesamte Unterfangen erscheint unheimlich überstürzt und aus einem Affekt heraus.”
Tatsächlich zweifeln einige Experten dieses waghalsige Experiment, initiiert durch eine alternative Kommune aus dem Raum Leipzig-Connewitz , welches bekannt ist für seine linksalternative Szene, welcher nachgesagt wird, das gesamte Viertel unterjocht zu haben, aufgrund einer nie dagewesenen ähnlichen Erklärung in der Neuzeit an; sie glauben nicht daran, dass es eine Zukunft hat. So beschrieb unter anderem ein besorgter FDP-Wähler: „Das ist einfach ungeheuerlich! Wann haben die uns jemals gefragt, ob wir damit einverstanden wären? Jetzt müssen ich, meine Frau und unser dreijähriges Kind extra nach Schmalkalden umziehen, damit wir nicht am Ende vom Rest der Welt abgeschnitten werden, weil irgendwelche linksgrün versifften Gretajünger meinten, dass das beste für unsere Gesellschaft wäre. Ich glaub es einfach nicht, das ist das Ende unserer Demokratie, wie wir sie kannten. Armes Deutschland!”

Auf Anfrage meldete man uns hingegen, dass es vor einer Woche, am Sonntag den 26. August 2019, eine Volksabstimmung gegeben hätte, zu welcher über Twitter, sowie alle anderen gängigen Social-Media-Netzwerke, aufgerufen wurde, damit am Ende ein jeder Leipziger Bescheid wusste. Überdies verteilte man Flugblätter in der ganzen Stadt, um auch am Ende die älteren Mitbürger über ihre Initiative zu informieren. Am Ende, so schrieb man uns, nahmen insgesamt 77,36 Prozent aller Bewohner teil, wodurch auch eine repräsentative Mehrheit der Bevölkerung ihre Stimme abgab. Folgendermaßen stimmten demnach die Leipziger ab: 
  • 88,15 Prozent stimmten mit JA, 
  • 10,85 Prozent stimmten mit NEIN, und
  • ein Prozent aller stimmen waren ungültig. 
Als wir den besorgten FDP-Wähler während seiner Umzugsvorbereitungen darauf hinwiesen, sagte er, dass ordentliche, rechtschaffende Bürger auch arbeiten gehen müssten, und er für solch lächerliche Dinge wie Wahlen keine Zeit hätte. Er erwarte, dass Wahlen künftig mit den Arbeitgebern abgestimmt werden, damit auch jeder die Möglichkeit hätte, zu wählen. 

Auf die Frage hin, weswegen eine solche Mehrheit trotz der gleichzeitigen Mehrheit an Stimmen für die CDU möglich war, fand sich hingegen keine Antwort. Auf mehrfache Anfragen von Menschen, die angaben, die CDU gewählt zu haben bei der letzten Landtagswahl, erreichten uns keine Rückmeldungen. Auch bei Straßenumfragen wimmelte man uns immerzu ab. 

Um sich gegen den wütenden Mob zu verteidigen, errichteten Initiatoren der Vereinigung «Leipzig gegen Rechts» Barrikaden aus abgebrannten Autowracks von der letzten Demo gegen einen Aufmarsch des «III. Weges», Bewaffnung in Form von Milkshakes, rohen Hühnereiern und Kanthölzern wurden an die Bürgerinnen und Bürger der Stadt ausgegeben und können noch über die gesamte Woche hinweg ausgerüstet werden in allen örtlichen Supermärkten. Häuserbesetzungen und gemeinschaftliche Enteignungen von Häusern von Vonovia werden intensiviert, um im Falle feindseliger Angriffe im Auftrag einer AfD-oder CDU-geführten sächsischen Landesregierung auf die Matratzen gehen zu können. Man entstandte laute Pressemitteilung bereits eine Delegation nach Bruxelles, um für internationale Unterstützung werben zu können. Man zeigte sich bisweilen interessiert an einer Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen und für die Unabhängigkeit von Katalonien, Berg Karabach in Armenien und der eigenen Exklave in Sachsen. 



*Ich entschuldige mich auch hierbei an alle Sachsen und diejenigen, die meinen, den sächsischen Dialekt besser zu Papier bringen zu können – das hier ist lediglich meine Interpretation des Dialektes. Auf meine Transkription gibt es selbstverständlich kein Gewähr; Korrekturen sind hingegen gern gesehen. :-) 

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